100 Gedichte (3)

Verstörte Pappeln

Start
Meine Augen hören
Unbeachtet neben den Gleisen
Ihr grünes die Pappeln
Leben die Pappeln
Verplempern

Continue
Meine Ohren sehen
Oktoberwind
Verknittert die Rinde
Knattert ins Baumherz
Bläst in silbrige Blätter

PS
Meine gichtigen Finger denken
Plemplem

Stottern
Stop
Mitten im Papperlapapp

Shut up

© Wolfgang Haberl (Zweite Hälfte 80-iger/2017)

 

100 Gedichte (2)

Festschreiben

Ich bin nur ein sturer Schädel
Brech durch Müll erbrech in Abfall
Will durch Schutt durch Queck und Silber
Vorwärts rückwärts weiter näher
Klarer vager weicher zäher
Dreht den Magen Kopf und Kragen
Sehen Sterne visionärrisch
Derwischflügel gehen hysterisch
Hin und her und ex und weg
Auf dem Weg zu weißen Seiten
Weiter Leitersprossen ächzen
Fall in Abfall und Gefühlsmüll
Schmier mich ran und wieder weg
Irr durch Wirrwarr Chaos Heckmeck
Durch den Krimskramströdeldödel
Durch die Mauern Frauen rufen
Stolpert unser Esel störrisch
Walk and stumble talk and tumble
Floating flowing flying fleeing
Sterne stehen am Plastikhimmel
Locken seitwärts treiben quer
Glocken bimmeln immer schlimmer
Holen Tote aus den Gräbern
Alles das und noch viel mehr
Lös ich auf und schreib ich weiter
Monomanisch bahn ich panisch
mir den Weg zu meinen Sternen
Will ich lernen lesen leben
Augen aus den Höhlen kratzen
Fratzen schneiden Sätze setzen
Badegästen Zähne fletschen
Ätzen fetzen niedermetzeln
Zungen wetzen zum Gefecht
Und das Ganze findet dann
Letzte Ruh im Abfallkübel
Auf zu fest und los Stift hü

© Wolfgang Haberl (Zweite Hälfte 80-iger/2017)

 

 

 

100 Gedichte (1)

Ab und zu ist es gut, sich etwas Neues einfallen zu lassen. Ich habe mich deshalb entschlossen, in den nächsten Monaten hier alle paar Tage eines meiner Gedichte zu posten.

Die ersten davon gehen zurück auf die zweite Hälfte der achtziger Jahre im damaligen West-Berlin. Im März 1989 schrieb das Künstlerhaus Bethanien am Kreuzberger Mariannenplatz einen Gedichte-Wettbewerb aus. Eifrig stellte ich ein Manuskript mit vielen eigenen Bildern und Fotos zusammen und reichte es erwartungsvoll ein. Herausgekommen ist leider gar nichts. Zuvor, im Dezember 1988, hatte mir die Edition Vespüne/Christian Schnedler-Verlag in Schֲöneberg ein konzeptuell und inhaltlich sehr ähnliches Werk namens Stillstand und Gnade mit einem Negativvermerk zurückgeschickt. Aber beide Manuskripte haben die fast 30 Jahre überlebt.

Zwei Handvoll dieser Gedichte sind das erste Mal in meinen Büchern „Leonard Cohen: die Ohnmacht der Worte“ und „Italien!“ veröffentlicht worden.

Die Ballade von Alpha, Romeo und Omega

Ja Alpha war ein hübsches Ding
Sie lachte laut und viel
Ihr Alter stand im Reisepass
Und Männer waren ihr Ziel

Da war diese Bar gleich hier um die Ecke
Wohin sie fast jede Nacht ging
Sie schmollte den Mund und guckte herum
Wie die bravste Internatsschülerin

Sie traf dort den schönen Romeo
Und schon war es um sie passiert
Er hatte ein Goldkettchen um den Hals
Und trank sein siebtes Bier

Hallo Alpha mein Name ist Romeo
Und mein Wagen geht zweihundertzehn
Ich lese den „Playboy“ und rauche „John Players“
Und außerdem bin ich schön

Iss ja supa antwortete Alpha
Du bist mein Typ von Mann
Wir treffen uns sonntags nach der Messe
Und beten den Rosenkranz

So wurde Alpha Romeos Freundin
Sie waren ein hübsches Paar
Er mit seinem Latinoschnurbärtchen
Und sie mit den Schleifchen im Haar

Die Moral der Ballade ist ultrabrutal
Und simpel noch dazu
Sollte ihr Schicksal mit Alpha sich kreuzen
Lassen sie sie lieber in Ruh

Sie werden jetzt sicher fragen
Und was ist mit Omega
Offen gestanden ganz schön schwierig zu sagen
Denn das letzte Mal als ich sie sah

Saß sie betrunken an der Bar
Und lallte wirres Zeug
Ich mach jetzt ein Wochenendseminar
Um zu kapieren was das alles bedeutet

© Wolfgang Haberl  (Zweite Hälfte 80-iger/2017)

 

Theorie der Romantik

Der Jahre nach der amerikanischen und französischen Revolution waren gerade in Deutschland (das es natürlich als Nation noch gar nicht gab) eine in vieler Hinsicht sehr aufregende Zeit. Politisch entstand der Wunsch nach demokratischen Gesellschaften, Napoleon eroberte die Welt, 1815 im Wiener Kongress wurde die aristokratische, reaktionäre Gesellschaft wiederhergestellt. In der Philosophie dominierte der Idealismus kantscher Prägung, den dann Johann Gottlieb Wilhelm Fichte perfektionierte. Die Literaturgeschichte sah eine rasche Aufeinanderfolge von sehr gegensätzlichen Strömungen (Sturm und Drang, Klassik, Romantik), die sich zeitlich überlappten und gegenseitig befruchteten.  Emblematisch hierfür ist, dass die eigentlich so revolutionären Frühromantiker alle Goethes Wilhelm Meister liebten, deb bekanntesten Entwicklungsroman der deutschen Klassik.

Die Voraussetzungen für eine interessante Lektüre wären eigentlich gegeben. Doch leider macht es einem das dicke, 400-Seiten-starke und eng bedruckte Reclambändchen als Leser nicht leicht. Die insgesamt fünf Kapitel (Philosophie und Religion – Poesie – Literaturkritik, Lesen, Hermeneutik – Malerei und Musik – Geschichtsphilosophie und Politik) stellen unterschiedlich lange Auszüge aus Originalquellen zusammen, die allerdings oft ohne entsprechende Fachkenntnisse kaum gewinnbringend rezipiert werden können. Speziell das erste, zweite und dritte Kapitel sind extrem theorielastig und aus dem Stand kaum zugänglich. Etwas besser zu lesen sind die beiden letzten Kapitel, die sich mit Malerei und Musik sowie politischen Theorien beschäftigen.

Fazit: zu sperrig selbst für den grundsätzlich am Thema interessierten Otto Normalleser.

 

Theorie der Romantik

 

 

Iggy Pop Paraguay

Wild animals they do
Never wonder why
Just do what they goddamn do

(Yeah)

Wild animals they do
Never wonder why
Just do what they goddamn do

I’m goin‘ where sore losers go
To hide my face and spend my dough
Though it’s a dream, it’s not a lie
And I won’t stop to say goodbye

Paraguay
Paraguay

See I just couldn’t take no more
Of whippin‘ fools and keepin‘ score
I just thought „well, fuck it man“
I’m gonna pack my soul and scram

Paraguay
Paraguay

 

Out of the way I’ll get away
Won’t have to hear the things they say
Tamales and a bank account
Are all I need, so count me out

Paraguay
Paraguay

I’ll have no fear
I’ll know no fear
So far from here
I’ll have no fear
Tra-la-la-la-la-la-la-la-la-la-la-la-la-la-la-la-la
Tra-la-la-la-la-la-la-la-la-la-la-la-la-la-la-la-la
Tra-la-la-la-la-la-la-la-la-la-la-la-la-la-la-la-la
Tra-la-la-la
Tra-la-la-la
Tra-la-la-la
Tra-la-la-la

Wild animals they do
Never wonder why
Just do what they goddamn do

There’s nothing awesome here
Not a damn thing
There’s nothing new
Just a bunch of people scared
Everybody’s fucking scared
Fear eats all the souls at once
I’m tired of it
And I dream about getting away
To a new life
Where there’s not so much fucking knowledge
I don’t want any of this information
I don’t want YOU
No
Not anymore
I’ve had enough of you
Yeah, I’m talking to you
I’m gonna go to Paraguay
To live in a compound under the trees
With servants and bodyguards who love me
Free of criticism
Free of manners and mores
I wanna be your basic clod
Who made good
And went away while he could
To somewhere where people are still human beings
Where they have spirit
You take your motherfucking laptop
And just shove it into your goddamn foul mouth
And down your shit heel gizzard
You fucking phony two faced three timing piece of turd
And I hope you shit it out
With all the words in it
And I hope the security services read those words
And pick you up and flay you
For all your evil and poisonous intentions
Because I’m sick
And it’s your fault
And I’m gonna go heal myself now
Yeah!

Novalis‘ Monolog

Der kurze Monolog von Novalis, geschrieben wahrscheinlich im Herbst 1798 und oft als Manifest der romantischen Sprachphilosophie bezeichnet, ist trotz seiner Kürze so vollgepackt mit philosophischem Ballast, dass diese Stelle wirklich nicht der geeignete Ort sein kann, das Wollknäuel der Theorien aufzudröseln. Was mich vielleicht am meisten an dem Text fasziniert, dass er einen Gegenpol zur heutzutage und seit langem in der modernen Linguistik weit verbreiteten Auffassung vertritt, dass Sprache auf einem Zufallsprinzip beruhe, dass Wörter nur beliebige, austauschbare Etiketten seien und kein Zusammenhang zwischen Name und Objekt bestehe. Für Novalis ist alles Symbol und voll von Bedeutung. Die Welt ist ein symbolisches Bild des Geistes, es gibt eine Sympathie und Analogie des Zeichens mit dem Bezeichneten. Sprache wird so nur jedes Mal kurzzeitig aufblitzende Trägerin von magischen Zusammenhängen, die schnell wieder hinter den Schleier des Geheimnisses schlüpfen.

Faszinierend, hätte sicher Doc Spock kommentiert.

Originaltext

Weiterlesen

Axolotl Roadkill

Eigentlich finde ich Tagebuch-Romane mit einem wild-neuromantischen Schreibstil ja interessant. Wenn die Veröffentlichung dann auch noch von einem selbst in Italien noch unüberhörbaren Werberummel begleitet wird, wird meine Erwartungshaltung noch höher. Der Katzenjammer ist dann leider unvermeidlich. Ein breiiger, uninspirierter Schreibstil, ein chaotisches Personalgemenge und eine Geschichte, die beim besten Willen keine ist und nie werden wird, hat mich die Lektüre von „Axolotl Roadkill“ nach 54 Seiten abbrechen lassen. Warum solch ich mir so einen Scheiß bis zum Ende antun? Vielleicht ist eine solche zugegeben wenig reflektierte Reaktion auch fast zwangsläufig. Selten betreffen persönliche Befindlichkeiten, die für einen selbst natürlich alles auf der Welt sind, auch eine dritte Person. Was mich allerdings bei Helene Hegemanns Erstlingswerk ärgert, ist, dass der Roman nicht aufgrund seiner (für mich fehlenden) Qualität so bekannt geworden ist, sondern durch Skandalgeschichten um ihn herum. Man hat ihm vor allem vorgeworfen, zum Großteil von anderen Texten abgeschrieben worden zu sein, weswegen der Leser dann in der letzten Ausgabe eine für einen nichtwissenschaftlichen Text reichlich seltsame Quellenliste im Anhang vorfindet. Auch bei der Verfilmung des Romans geht es wohl mehr um sensationsgeilen Reibach und eine Fortsetzung der vom Bahnhof Zoo ins szenige Friedrichshain verpflanzten Christiane F.-Thematik aus Drogen, Sex und der Frage „Who ist the wierdest?“, denn um Bereicherung des deutschsprachigen Literaturkanons.

 

Helene Hegemann – Axolotl Roadkill (2010)

Marshall McLuhan

Mit Marshall McLuhan beschäftigen sich heute nur noch Spezialisten, Studenten der Medienwissenschaften etwa (und das meist auch ungewollt). In den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts dagegen war der kanadische Professor McLuhan in aller Munde und eine sehr wichtige Person, ständig im Fernsehen zu sehen und Presseinterviews gebend. Er personifizierte eine neue Art von Wissenschaftler, der sich nicht im akademischen Elfenbeinturm versteckte, sondern auch in als unseriös verschrienen Kanälen seine oft chaotischen und aphoristischen, jedenfalls reichlich unwissenschaftlichen Thesen bekannt machte. Medien sind Körperausweitungen. Wir leben in einem globalen Dorf. Das Medium ist die Botschaft. Alles ist miteinander verbunden. So lauteten seine bekanntesten und überhaupt nicht originellen Thesen. Von einem „homo elettronicus“ im Zeitalter des Fernsehens und der Massenmedien war die Rede. Das klingt alles erst einmal reichlich banal, ist aber bei näherer Sicht verstörend revolutionär. Denn das letzte halbe Jahrhundert hat McLuhan Recht gegeben. Sensibel und klug genug ahnte er, dass er auf der Schwelle eines neuen Zeitalters stand, das auch heute noch seine Wellen schlägt und immer mehr Bahn bricht. Kein Stein würde am Ende mehr auf dem anderen bleiben. Das Jahrtausende Jahre alte aristotelische Konzept der abendländischen Erkenntnis zerbröselte immer mehr. Die Entwicklung der Persönlichkeit, die Lehr- und Wanderjahre des „homo occidentalis“, die Idee der Wissensaneignung und Allgemeinkultur, die einen zum Bildungsbürger kürt, die Möglichkeiten der sozialen Kontaktaufnahme (und anderes mehr) wurden auf einmal fragwürdig und sind es heute, in der Zeit der vierten industriellen Revolution und der schönen, smarten Welt des „homo digitalis“ mehr als vor fünfzig Jahren. Was müssen wir wissen? Müssen wir überhaupt etwas wissen? Wie können wir lernen? Wie gründlich müssen wir recherchieren? Wie lernen wir Menschen kennen, mit denen wir kommunizieren können? Auf diese Fragen eines Erstklässlers gibt es inzwischen keine Antworten mehr. Die Gefahr ist jedenfalls, dass wir immer weniger wissen und lernen können und uns immer mehr zu digitalen, isolierten, aalglatten, autistischen Einzelindividuen entwickeln, ohne Solidarität, Mitleid und Scham. Mein Ego schießt schärfer als deins.

 

Sven Grampp: Marschall McLuhan. Eine Einführung. UKV Verlagsgesellschaft. Konstanz und München. 2011.