William Burroughs ist (für mich persönlich zumindest) weniger interessant als Schriftsteller – die Lektüre seiner Bücher ist reichlich frustrierend, ob auf Amerikanisch oder Deutsch, immer wenn ich versucht habe, etwas von ihm zu lesen, ob „The Naked Lunch“ oder „The Wild Boys“ habe ich jedes Mal genervt die Lektüre abgebrochen – denn als Galionsfigur des lebenslangen, kompromisslosen literarischen Untergrunds, des kategorischen Imperativs des „Neins“ der postmodernen Kunst. Wichtiger als seine Bücher ist somit wahrscheinlich sein wildes Leben und seine Attitüde gegenüber der Kunst. „Kunst“ kommt ja von „Können“, und ob Burroughs schreiben konnte, weiß ich nicht. Was er sicher konnte, ist schockieren. Was er bühnenreif hinbekam, war, im Eisenhower-Amerika der 50er- Jahre Angst und Schrecken zu verbreiten. Er wurde wegen „mental instability“ nicht zum Wehrdienst im 2. Weltkrieg eingezogen (sprich: er war „verrückt“), er war schwul, er war ein Verbrecher (Lucien Carr erstach David Kammerer und dann natürlich die drogenumnebelte, psychotische Ermordung seiner Frau Joan Vollmer in Mexiko im Jahre 1952, von der er sich mit fetten Bestechungsbezahlungen freikaufen musste), er lebte jahrzehntelang parasitär vom monatlichen Scheck seiner reichen Eltern, er änderte seinen Wohnsitz häufiger als seine Socken (um Brecht zu zitieren) und lebte in Wien, New York, Mexiko, Südamerika, Tanger, Paris London undsoweiter, er war heroinsüchtig und abhängig auch von allen anderen möglichen Drogen. Verbrecher, schwul, arbeitsscheu, drogensüchtig, nihilistisch bis zur Selbstzerstörung: nicht gerade der ideale Schwiegersohn. Auch literarisch brach er alle Regeln: seine experimentelle Schreibweise hatte keine klassische Handlung und Progression, Wirklichkeit und Einbildung, Journalismus und Erfundenes gingen ineinander über. William Burroughs war bewusst und extrem radikal, eine Anti-Figur zum „American Way of Life“, die ja seit vielen Jahrzehnten auch unseren Lebensstil in Europa dominiert.
Am wichtigsten und ausdrucksstärksten sind wahrscheinlich die Werke aus seiner ersten und zweiten Schaffensperiode.
Anfang der 50-er: „Junkie“, „Queer“, „The Yage Letters“ (noch eher traditionell erzählt)
Mitte der 50er bis Mitte der 60er: seine bekanntesten Bücher, die hauptsächlich in Tanger und Paris entstanden und aus einem einzigen langen Manuskript („The Word Hoard“) destilliert worden sind: „The Naked Lunch“ und dann die manchmal als „The Cut-Up-Trilogy“ und von ihm selbst „A Mythology for the Space Age“ genannten Romane „The Soft Machine“, „Nova Express“ und „The Ticket that Exploded“.
„The Dharma Bums“, neben „On The Road” Jack Kerouacs bekanntestes und beliebtestes Buch, wurde zwar erst nach „On The Road“ im Jahre 1958 veröffentlicht, berichtet aber über Ereignisse aus Kerouacs wilden „Lehr- und Wanderjahren“ Mitte der 50er, bevor der Autor dann am Ende des Jahrzehnts schlagartig berühmt wurde, womit Kerouac nie zurechtgekommen ist. Manche Experten der „Beat Generation“ haben den drei wichtigsten Autoren deshalb Jahrzehnte zugeteilt: Jack Kerouac die 50er, Allan Ginsberg die 60er und William Burroughs die 70er. Was bei der Lektüre von „The Dharma Bums“ erst einmal ins Auge fällt, ist die unglaubliche Direktheit, Authentizität und Spontaneität der Erzählweise. Sowas kann man nicht glaubwürdig erfinden. Sowas muss man schon erlebt haben. Es gibt keinen mir bekannten anderen Autor, der so unvermittelt, echt und autobiographisch erzählen kann. Dagegen kann auch keine noch so gescheite Literaturtheorie anstinken, die mir etwas von geschickt konstruierter Pseudo- oder Fake-Narration erzählen will. Im Zweifelsfall glaube ich Kerouac mehr als jedem ehrenvoll ergrauten Literaturprofessor. In „The Dharma Bums“ ist/wirkt alles wie direkt aus dem wirklichen Leben erzählt, das sind keine erfundenen, sondern am eigenen Leib erlebten Erfahrungen, hier gehen persönlich gelebte Fakten und für den Roman erfundene Fiktionen nahtlos ineinander über. Man liest „real life stories“, die kein anderer als Jack Kerouac so überzeugend zu schreiben vermag. Möglicherweise ist Kerouacs Sichtweise und Schreibstil zutiefst „neuromantisch“. Gefühle, Gedanken, Beobachtungen und Beschreibungen werden nicht reflektiert und gefiltert, sondern sind unmittelbar und naiv. Nur in Goethes „Werther“ erinnere ich mich ähnlich ekstatische und weit ausschweifende Naturbeschreibungen gelesen zu haben. Das ist zwar „Sturm und Drang“, aber der Bogen ist trotzdem schnell von Goethes „Präromantik“ zu Kerouac gespannt. Und dann: wie viele ellenlange Beschreibungen von Essen liest man in „The Dharma Bums“? Und was ist schon authentischer und ehrlicher als Essen! In der Stadt leben die „Dharmagammler“ bei Freunden und schnorren sich durch die Existenz. Häufige Partys und wilde Lyriklesungen mit viel Sex, Alkohol und abstrusen Gedanken verscheuchen die Langeweile und den Mief des Eisenhower-Amerika. Auch die Konzeption von „The Dharma Bums“ als Schlüsselroman trägt zu seiner Authentizität bei. Eigentlich alle Romanfiguren beruhen auf wirklichen Personen: Ray Smith ist Jack Kerouac, Japhy Ryder ist Gary Snyder, Alvan Goldbook ist Allan Ginsberg, Rheinhold Cacoethes ist Kenneth Rexroth etc.
Inhaltlich ist der Roman auch nach über 60 Jahren pure Rebellion, vielleicht sogar noch mehr als damals. Die „Dharmagammler“ arbeiten nicht, haben kein Interesse an neuen Fernsehgeräten und Automobilen, Familie und schnuckligem Reihenhaus am Stadtrand, sind ohne festen Wohnsitz, trampen und springen illegal auf Güterzüge auf, leben schlecht oder nicht integriert am Rande einer städtischen Industriekultur, bewegen sich lieber in der unberührten Natur (die es damals noch mehr gab als heute), sind auf der Suche nach wahrer Spiritualität und wenden sich deshalb vom traditionellen christlichen Glauben ab und fernöstlichen Religionen zu. Alle diese Entscheidungen wären heute noch genauso (und vielleicht sogar noch mehr) revolutionär wie damals im opulenten Eisenhower-Amerika. In „The Dharma Bums“ schafft Literatur wirklich eine Gegenwelt zur bestehenden Gesellschaft und kann den Leser desto mehr überzeugen, weil man weiß, dass die erzählten Geschichten stimmen und nicht nur auf der Schreibmaschinentastatur erfunden worden sind.
Als ich 1985 das Hauptseminar am John-F.-Kennedy-Institut über die „Beat Generation“ besuchte, war das damals noch eine kleine akademische Sensation und Provokation, wurden doch Kerouac, Ginsberg, Burroughs und Company vom damaligen Universitätsbetrieb noch vollständig ignoriert und gesnobbt. Das war doch nur ein wilder Haufen drogenabhängiger, krimineller und schwuler Dilettanten, die von Kultur und Literatur keine Ahnung hatten. Für mich war das Seminar von Michael Hoenisch jedenfalls eines meiner Handvoll kulturellen Schlüsselerlebnisse: ich las das erste Mal „On the Road“, „The Subterreneans“, „Howl“, „Kaddish“ und „Naked Lunch“und nichts mehr war wie zuvor. Die „Beats“ schrieben spontan und autobiographisch, waren auf der Suche nach Abenteuer, Freihiet und Spiritualität, hatten klare Identifikationsmechanismen („queer“/“square“). Das alles sprach mir aus dem Herzen.
Inzwischen sind natürlich fast 40 Jahre vergangen. Die Welt und auch ich sind etwas anderes geworden. Die „Beat Generation“ ist längst Teil des regulären Literatur- und Kulturbetriebs geworden. Präziser formuliert: es gibt zwar immer noch Teile der akademischen Schickeria, welche die „Beats“ weiterhin als „unseriös“ und „gefährlich“ einstuft (speziell in Schulbuchanthologien tauchen sie als „nicht jugendfrei“ nur selten auf), aber auch unter den schwarzen Talaren und Roben ist inzwischen eine Generation herangewachsen, die sich überzeugt mit den „Beats“ beschäftigen und sie möglicherweise sogar für die wichtigste literarische Bewegung des 20. Jahrhunderts halten.
„The Cambridge Companion to THE BEATS” ist Ausdruck dieses geänderten akademischen Bewusstseins und präsentiert in 18, von jeweils verschiedenen, renommierten Autoren verfassten Artikeln die gesamte Bandbreite relevanter Autoren und Themen. Das ist sicherlich ein gewaltiger Schritt nach vorne, ändert aber nichts daran, dass mit dem klassischen akademisch-philologischen Werkzeugkasten kaum Neues und Interessantes über diese Schriftsteller herauszufinden ist. Man liest, dass die „Beats“ nicht nur das weiße Triumvirat Kerouac-Ginsberg-Burroughs gewesen sind, man erfährt, dass es Dutzende andere wichtige Beat-Schriftsteller gegeben hat, Schwarze, viele Frauenschriftstellerinnen, man hat inzwischen auch die Rezeption außerhalb Nordamerikas untersucht (in Deutschland vor allem Brinkmann und Fauser), alles schön und gut, trotzdem schaffen es viele der Artikel nicht, wirklich in die Tiefe zu gehen und Spannendes zu sagen. Gerade bei den Kernaufsätzen über die Romane von Kerouac und Burroughs oder über die Lyrik von Ginsberg kann man ein wenig standesgemäßes Gähnen kaum unterdrücken. Leicht machen es die „Beats“ dem Literaturwissenschaftler sicher nicht. Die literarische Qualität der „Beats“-Texte schwankt stark, vor allem bei William Burroughs. Möglicherweise stehen bei ihm seine geschriebenen Texte nicht immer wirklich im Vordergrund, sondern immer wieder seine radikale Attitüde. Burroughs ist fast so etwas wie eine Fleisch-und-Blut gewordenen Ikone des extremen Untergrunds, ein Anti-Künstler aus einem anderen Universum (schwul, zynisch, heroinsüchtig, arrogant, so krank, dass man sich wundert, wie er es geschafft hat, überhaupt zu überleben, ein Schmarotzer aus Amerika, der jahrzehntelang jeden Monat einen Scheck von seinen reichen Eltern bekommt, der in der Weltgeschichte herumreist (Mexiko, Marokko, Paris, London) und hinter Heroin und Strichjungen her ist, ein Waffennarr und Krimineller, der beim Wilhelm-Tell-Spiel im Drogenrausch seine Frau erschießt und sich durch eine Kautionszahlung von einem jahrzehntelangen Gefängnisaufenthalt in Mexiko freikauft, ein Schriftsteller, der im Drogenrausch seine Albträume und Phantasien niederschreibt, die nichts, aber rein gar nichts von einem herkömmlichen „Roman“ haben).
Heute ist mein Kriminalroman „Boboko“ bei epubli veröffentlicht worden. In ein paar Tagen sollte er dann in den stationären Bookshops und Online-Buchhandlungen sein.
„Self-Publishing“ („Selbst-Verlegen“) klingt geil, denkt man doch an den mit Schwielen an den Händen und Schweiß unter seinen Achseln werkelnden Autor, der sich in der stillen Literaturwerkstatt alles mühsam und gequält von der Seele schreibt. Authentisch, ehrlich, einsam, ein echter Künstler, besser geht’s doch gar nicht. Doch ein Manuskript ist noch lange kein fertiges Buch. Für das Buchcover braucht es Kenntnisse in Grafik und Design, und die hat unser braver Autor im Regelfall nicht. Es wird also im besten Fall reichlich dilettantisch werden. Noch schlechter sieht es beim Lektorat und Korrektorat aus, also bei den unvermeidlichen Rechtsschreibfehlern, Wortwiederholungen, Stilmängeln, Ungereimtheiten, Inkongruenzen etc., die im Text entmint werden müssten. Hier bräuchte es mindestens 4 Augen, aber unser braver Autor hat nur 2, und seine starke Sehbrille verdoppelt die Augenzahl auch nicht. Manches Unkraut wird somit ungerupft bleiben.
Wenn’s also bei der Qualität hapert, nicht gleich losquengeln, sondern daran denken, dass Sie kein Buch von „Suhrkamp“ oder „Rowohlt“ in den Händen halten.
Wenn ich Jörg Fausers böse Bestandsaufnahme zu seiner eigenen Situation als Schriftsteller damals, aber auch ganz allgemein zur Literatur lese (veröffentlicht das erste Mal 1977 im „Ulcus Molle Info“ von Josef „Biby“ Wintjes, das ich von 1985 bis 1988 abonniert hatte), muss auch ich die Hosen runterlassen und zugeben, dass mit der hehren Schriftstellerexistenz bei mir sogar noch viel weniger los ist als bei dem auch heute noch als „Suff-Schriftsteller“ und U-Lit-Autor geltenden Fauser. Ich bin aus einer anderen Generation, für die es vermutlich noch schwieriger geworden ist, sich aus dem Nichts kommend, Gehör zu verschaffen, könnte ich mir zugutehalten. Aber die Grundwahrheiten von Fausers Artikel sind dennoch dieselben geblieben.
Erste Zuckungen und Regungen, die Literatenrennbahn zu betreten, hatte ich ab 1977 in Ingolstadt. Dicke, mit meiner unmöglichen Klaue handgeschriebene DIN-A-Blöcke mit post-neo-romantischen Tagebüchern waren das Ergebnis, die glücklicherweise die Zeiten nicht überlebt haben. Denn die Qualität dieser intimen Ergüsse (nebst eingesprengten Gedichten, Märchen, Erzählungen auf den Pfaden von niemandem Geringeren als Novalis) kann nur ganz, ganz, schlecht gewesen sein. Nachprüfen kann das keiner mehr, denn während meines Grundwehrdienstes hatte ich bei meinem Crash-Kurs zum angehenden Fahnenjunker (ohje!) in München mit einer blonden Supermarktkassiererin angebandelt und ihr eine schwarze alte Kunstledertasche mit diesen Tagebüchern „geliehen“ (?). Die Schöne von der Kasse sollte tiefe Einsichten in mein brodelndes Seelenleben bekommen und mich prophetischen Poeten verstehen. Kurs, Affäre und Trip nach München dauerten nicht lange, die alte ausgebeulte Kunstledertasche mit den unleserlichen, in königsblauer Tinte rausgekotzten Tagebüchern wurde von der Blondine, deren Namen ich längst vergessen habe, vermutlich in die Tonne gedonnert. Mit 17 hat man noch Träume. Mit 19 hatte ich verspätet den Führerschein gemacht, gondelte den 6-Zylinder-Nissan meines Vaters zu den Rendezvous nach München und merkte langsam immer mehr, dass für mich im Leben nichts klappte.
Dann folgte erst einmal eine jahrelange Sendepause, vermutlich, weil ich mich von dem ganzen romantischen (Novalis), neo-romantischen (Hesse) und post-neo-romantischen (ich selbst) Gedöns befreien und einen eigenen Stil finden musste. 1985 machte ich ein Seminar über die Beat-Generation und fand dort endlich neue Helden. Ich schrieb jahrelang Gedichte, auch 2 Theaterstücke. Kerouac, Ginsberg, Burroughs und Sam Shepard grüßten freundlich über den Großen Teich. Versuche, die Manuskripte einzutüten und an große Verlage und kleine Alternativklitschen zu schicken, scheiterten kläglich. Der Unterschied zwischen den großen und kleinen Verlagen war nur der, dass die großen Verlage auf spontane Manuskripteinsendungen noch nicht einmal reagierten, während einer von 10 alternativen Verlagen sich zumindest die Mühe machte (und damals noch Briefporto zahlen musste), einen Standardablehnungsbrief zurückzuschicken. Auch das damalige alternative Off-Theater in Westberlin wollte nichts von meinem zusammengebrauten Theaterdonner wissen. 2017 (nach mehr als 30 Jahren!) habe ich dann die besten dieser alten Gedichte und auch die zwei wilden Theaterstücke bei „epubli“ veröffentlicht.
Nach den 80er Jahren fiel ich in ein noch tieferes kreatives Loch. Umzug nach Italien, Heirat, häufige Ortswechsel, prekäre Arbeitssituation, Geburt der Tochter, dann 7 ½ jahrelang ein Job in der Marmorindustrie in Verona. Das erste Mal ein bisschen Kohle, aber keine Zeit zum Lesen, zum Schreiben, zu gar nichts. Wer die Arbeitszeiten und die Chefs in den norditalienischen Büros kennt, weiß, wovon ich rede. Dann der überraschende Berufswechsel 2005 in den Schuldienst (nur in Italien sind solche wilden und sprunghaften Karrieren möglich). Weniger Geld, aber mehr Zeit. Dann 2010 der Tod meines Vaters, der für meine literarischen Kreuzfahrten auf den 7 Weltmeeren nichts übrighatte und lieber in den Bergen kraxelte und Ski fuhr. Diesmal wollte ich es ein bisschen professioneller angehen, die eine oder andere Münze aus Erbschaften war da, auf Ablehnungsschreiben hatte ich keine Lust mehr, also gleich einer dieser von allen Schreibprofis und Feuilletonpromis verachteten Bezahlverlage, Scheiß drauf, dass die alle einen so schlechten Ruf als Abzockerbanden und unseriöse Panzerknacker mit 7-Tages-Bart haben.
Den SWB-Verlag in Stuttgart habe ich ziemlich zufällig und schnell ausgewählt. An eigene Texte traute ich mich erst einmal nicht ran, besser Biografien über Rockmusik, am besten angefangen mit Bob Dylan, über den ich ja meine Magisterarbeit (allerdings vor fast 20 Jahren) geschrieben hatte. Es machte zudem auch Spaß, sich wieder mit Bob Dylan zu beschäftigen, das erste Buch „Zimmys Jukebox“ wurde 2011 veröffentlicht. Kosten: etwas über 2.000 Euro. Der Ein-Mann-Betrieb/Verlag war von meiner Schreibe angetan und bot mir an, in Zukunft kostenfrei weitere Rockmusiker-Biografien zu veröffentlichen. Was hatte der gute Mann im Kopf? Zumindest musste ich nicht jedes Mal wieder 2.000 Euro für ein neues Buch blechen. Um seinen guten Willen zu bekunden, wurde im Frühjahr 2012 sogar eine Abrechnung nach allen Regeln der Vertragskunst über die verkauften Bücher von Bob Dylan geschickt. Das waren wohl so um die 120, 130 Euro. Aber damals dachte ich, das ist ja nur der Anfang, das wird ja langsam immer mehr werden und ich kann mir auf diese Weise einen schönen Nebenverdienst außer dem kargen italienischen Lehrergehalt erschreiben. Volle Fahrt voraus! Auf zu Ruhm und Glorie bei den imaginären Exkursionen und Expeditionen im Schriftstellerfirmament. Mit 52 hat man noch Träume. Mit 53 hatte ich sie mir endgültig abgeschminkt. Was war passiert?
Im November 2012 hatte ich ziemlich einfallslos und dem ollen Hippie trail folgend, ein Buch über Leonard Cohen veröffentlicht („Die Ohnmacht der Worte“). Diesmal sollte es krachen. Keine 200 Seiten mehr wie bei Bob Dylan, sondern über 400 Seiten, und vor allem auf Biegen und Brechen ein „origineller“ Schreibstil. Also am Ende des Buchs nichts mehr über Leonard Cohen, sondern ein paar Kapitel über mich selbst, irgendetwas Vermischtes zwischen Biografie und privater Wut im Bauch. Ein Konzeptbuch, oh yeah, was auch immer das sein soll. 2012 hatte einer meiner Onkel Selbstmord begangen, ich hatte Grund genug, mich wieder einmal über meine bucklige Verwandtschaft zu ärgern. Ich nannte Namen (oder zumindest eindeutige Sachverhalte), die Lektorin war völlig überfordert und merkte nichts, auch beim Buchsatz gab es jede Menge Pleiten, Pech und Pannen. Nach einigen Monaten flatterten zwei Unterlassungsklagen der im Buch genannten Personen nach Stuttgart ins Verlagsbüro. Die Kacke war am Dampfen. Der Verlag in der Person seines einzigen Besitzers flippte mit rotem Kopf aus. Friede, Freude, Wutausbruch. Mit meiner großen Karriere als Schriftsteller war erst einmal Essig. Wie alles ausgegangen ist, weiß ich bis heute nicht. Die Sache zog sich nämlich jahrelang hin und ich wurde nur unzureichend informiert. Der Mini-Verlag hatte „wegen meiner Schuld“ sicher Rechtsanwalts- und Entschädigungskosten. Er machte mir ständig ein schlechtes Gewissen, weil ich ihm die ganze Scheiße eingebrockt hatte, mein Gegenargument, dass die wirkliche und juristisch relevante Schuld beim Verlag und der Lektorin lag, zog nicht so recht, außerdem wollte ich weiter Bücher veröffentlichen, am Ende habe ich zweimal geblecht, einmal 2013, ich glaube € 2.000 und dann vielleicht 2017, als alles noch einmal mit einer Vorladung beim Landgericht Waiblingen hochflackerte, einen zweiten Betrag, ich denke € 1.500. Irgendwie hatte ich wohl € 10.000 als Gesamtschaden ausgerechnet und den Betrag durch 3 geteilt (Autor, Lektorin, Verlag). Beim Rechnen war ich schon immer ein dummes Mildmädchen gewesen. Die Veröffentlichungen gingen weiter: Patti Smith 2013, Rio Reiser 2015 und dann noch einmal eine Neuauflage des Leonard-Cohen-Buchs (2018). Aber wenn einmal der Wurm drin ist, kriegt man ihn nicht mehr so einfach raus. Ich habe natürlich in dieser vertrackten Situation ganz auf jedes eigentlich in den Verlagsverträgen vereinbarte Honorar verzichtet, beim letzten Cohen-Buch auch auf die Honorare 2018 und 2019. War so eine Goodwill-Aktion richtig oder falsch? Vor etwa einem Jahr habe ich die Abrechnung von 2020 bekommen, wieder etwa so € 120/130. So ein Sachbuch hat sich selbstredend am Anfang besser verkauft als nach 2 Jahren, so dass die Haupteinnahmen an mir vorbeigeflossen sind. Vor ein paar Monaten kam dann die Abrechnung zur zweiten Jahreshälfte 2021: € 80. Der Verlag war inzwischen verkauft worden, der neue Besitzer meinte, für die erste Jahreshälfte solle ich mich an den Vorbesitzer wenden, was ich natürlich nie gemacht habe. Bei diesen Millionenbeträgen. Fazit: 11 Jahre Tätigkeit für den SWB-Verlag, der inzwischen viele, mir unverständliche Namensmutationen hinter sich hat, 5 (eigentlich 4 ½) veröffentlichte Bücher, Kosten für mich ca. € 5.500, Einnahmen € 320. Das war wohl nichts mit dem einträglichen Nebenverdienst. Schon eher ein teures, nerviges und anstrengendes Hobby. Aber es sollte noch schlimmer kommen.
Diesmal schrieb ich (inzwischen natürlich ausschließlich digital per Mail) eine Reihe von Bewerbungen an Literaturagenturen. Das ist ja inzwischen der Trend, nicht mehr direkt an die Verlage, sondern an Agenturen als Vermittler, die die andrängende Flut filtern. Bei mir war allerdings der Vermittlungseifer klein und der Filter sehr feinmaschig, so dass gerade mal ein paar mehr oder minder intelligente Absagen folgten. Diesmal nicht mehr im Verhältnis 10:1 wie bei den Kleinverlagen, sondern autorenfreundlicher 5:1. War ich inzwischen doppelt so gut geworden? Meine Stimmung war trotzdem am Tiefpunkt. Das Goethe-Institut in Neapel veranstaltete regelmäßige Autorentreffen mit jungen Schriftstellerinnen (ich kann mich nur an Frauen erinnern). Sehr zum Leidwesen der Direktorin schleppte ich meine gerade veröffentlichten Bücher an, versuchte mit den Damen ins Gespräch zu kommen und irgendetwas Konkretes in die Wege zu leiten. Herausgekommen ist nichts dabei.
Ein Freund aus alten West-Berliner Mauerzeiten hatte während einer Party die Besitzer eines Verlages kennengelernt, und die hatte sich bereit erklärt, meinen Roman zu veröffentlichen! Endlich hatte ich es geschafft, reich und berühmt zu werden! Doch schnell stellte sich bei dem Treffen im schwer zu erreichenden Lichtenrade heraus, dass meine hochfliegenden Träume wieder einmal nur Schäume gewesen waren. Mein erster Roman („Niemand sagt was“) war trotz des relativ kleinen Umfangs ein schwieriges Buch für mich. Sehr persönlich, sehr viel Seele. Gegenlesen war nötig. Ich beauftragte eine Lektorin in Österreich, die tatsächlich vieles rauswarf, ummodelte und dadurch das Buch viel besser machte. Wir arbeiteten einige Wochen an dem Manuskript, am Ende wollte sie € 2.000. War das viel? War das wenig? Wenn sie 40 Stunden daran gearbeitet hat, war das ein Stundensatz von € 50 für eine schwierige, kreative Arbeit. Andererseits bekommen professionelle Lektoren sicher keine € 2.000 für jedes Buch. Die Dame mit dem englischen Nachnamen hat wohl meine Notsituation auch ausgenützt. Als mir dann der Westkreuz-Verlag den Verlagsvertrag unter die Nase hielt, musste ich schlucken, doch es war zu spät, um „Nein“ zu sagen. € 4.000 für eine Auflage von 500 Büchern. 2017 folgte ein weiteres Buch beim Westkreuz-Verlag.: „Italien“. Eine Mischung aus Essays, Glossen, Artikeln und Kurzgeschichten, Fakten und Fiktion. Nichts Ganzes und nichts Halbes also. Der Roman und das Zwitterbuch verkauften sich beide schlecht, was noch euphemistisch formuliert ist. Beim Westkreuz-Verlag hatte ich also nicht gekleckert, sondern geklotzt. 2 Bücher, keine Einnahmen, € 8.000 Miese.
Wie sollte es weitergehen.? Es blieben eigentlich nur noch die Self-Publishing-Verlage übrig (außer meiner Weblog-Seite, die mich auch im Jahr € 150 kostet). Außer Spesen nichts gewesen. Bei den Wannabes und Möchtegerns gelandet, die zu schlecht schreiben, um bei einem ernsthaften Verlag veröffentlicht zu werden. War ich also einfach zu laienhaft, zu mittelmäßig, zu sehr ein dilettantischer Hobby-Schriftsteller? Oder lag es doch an den widrigen Umständen? Ich war immer noch ein Nobody, ich hatte eine schwierige, negative Schreibe und einen bockigen, verhagelten Schädel, die sicher nicht für den literarischen Mainstream geeignet war, wie sollte ich dann einen wichtigen Lektor oder die schicksalshafte Verlegerin bei einer Party kennenlernen, wenn ich weit weg in Italien lebte? Und dann gibt es natürlich noch die böse Kulturmafia in der Tradition Reich-Ranickis, die darüber entscheidet, wer die Leiter nach oben oder nach unten steigt. Es sah und sieht schlecht aus, meine sehr verehrten Leserinnen und Leser. Und es gab keinen Anlass zu glauben, dass es jemals besser werden würde. Bei „epubli“ in Berlin zu veröffentlichen war zwar nicht teuer (wenn man von den paar gedruckten Print-Exemplaren absah, die man sich nach Italien schicken ließ), aber verbreitete den strengen Geruch des Dilettantismus. Alles musste man selber machen: das Buch schreiben, das Manuskript lektorieren und korrigieren, das Buchcover designen. Fehler waren bei nur 2 Augen unvermeidlich. Werbung gab es keine, Rezensionen bei wichtigen Zeitungen und Zeitschriften auch keine. Man schreibt und veröffentlicht für sich selbst. Viel Arbeit, kein Verdienst (in der Vergangenheit auch erhebliche Ausgaben), unvermeidliche Frustration, das ist für mich meine Arbeit als Schriftsteller. Bei „epubli“ habe ich bisher 3 Bücher veröffentlicht (ein viertes soll folgen). Kosten pi mal Daumen für die 4 Bücher € 400, Einnahmen laut Webseite „Verkäufe und Einnahmen“ bisher: €. 16,17.
Kunst kommt von „Können“, wie man liest. Ich glaube, Joseph Beuys hat gesagt, Kunst kommt vom Künden, das heißt, ein Zeichen zu setzen. Das wäre immerhin schon einmal ein kleines Trostpflaster für die vielen Wunden.
Die Welt schaut rauf zu meinem Fenster Mit müden Augen ganz staubig und scheu Ich bin hier oben auf meiner Wolke Ich seh dich kommen aber du gehst vorbei
Doch jetzt tut’s nicht mehr weh Nee, jetzt tut’s nicht mehr weh Und alles bleibt stumm und kein Sturm kommt auf Wenn ich dich seh
Es ist vorbei Bye bye, Junimond Es ist vorbei Es ist vorbei Bye bye
Doch jetzt tut’s nicht mehr weh Nee, jetzt tut’s nicht mehr weh Und alles bleibt stumm und kein Sturm kommt auf Wenn ich dich seh
Es ist vorbei Bye bye, Junimond Es ist vorbei Es ist vorbei Bye bye
Zweitausend Stunden hab ich gewartet Ich hab sie alle gezählt und verflucht Ich hab getrunken, geraucht und gebetet Hab dich flussauf- und flussabwärts gesucht
Doch jetzt tut’s nicht mehr weh Nee, jetzt tut’s nicht mehr weh Und alles bleibt stumm, und kein Sturm kommt auf Wenn ich dich seh
Es ist vorbei Bye bye, Junimond Es ist vorbei Es ist vorbei Bye bye
Es ist vorbei Bye bye, Junimond Es ist vorbei Es ist vorbei Bye bye
Eigentlich sollte man Originale so lassen, wie sie sind. Es gibt immer viele Gründe, warum Texte zu einem bestimmten Zeitpunkt so und nicht anders konzipiert und geschrieben worden sind. Leichenfledderei und Updates machen sie nur schlechter.
Auch wenn mir da kaum jemand widersprechen wird, gibt es trotzdem die notorischen Ausnahmen von der Regel. Jörg Fausers Essayband „Blues für Blondinen“, veröffentlicht im gleichen Jahr wie „Rohstoff“ vom Berliner UIlstein-Verlag und von mir als Band 6 der ersten Gesamtausgabe bei „2001“ (1990) gelesen, ist eine solche Ausnahme. Die insgesamt 21 Artikel, die fast alle beim Berliner „Tip“, bei „lui“ und „TransAtlantik“ zwischen 1979 und 1983 erschienen sind, lesen sich zum Teil arg holprig (dass eh nur eine beschränkte Anzahl von hartgesottenen Fauser-Fans sich dieser Mühe unterzieht, wird stillschweigend vorausgesetzt).
Woran liegt’s? Wenn Fauser über damals aktuelle Zeitgeschichte und Themen schreibt (West-Berlin, Deutschland, Boxen, Paris, Papst, Spanischer Bürgerkrieg, Pferderennen, Catherine Deneuve etc.), nervt das manchmal, weil man schnell merkt, dass Fauser hier zum Teil penetrant an seinem Bukowski-Macho-Mythos arbeitet (Boxen, Pferderennen). Vor allem aber hat man immer wieder ernstliche Probleme, die jahrzehntelang vergangenen historischen Situationen richtig einzuordnen. Bei solchen tagespolitischen und soziologischen Essays fällt schnell das fatale Fallbeil der Obsoleszenz: bekanntlich ist nichts so alt wie die Schlagzeile von gestern. Diese grausame journalistische Wahrheit gilt viel weniger für die Essays, die über Literatur sprechen („Der dunkle Ort“-Karl Günther Hufnagel; „Hamlet oder The Frankfort State of Mind“-Jörg Schröder und sein März-Verlag; (Hans) „Fallada“ (Rudolf Ditzen); „Beruf: Rebell“ (George. Orwell und Henry Miller); „Die Ambler-Lektion“; „Schreib, mein Sachse, schreib“ (Erich Loest); „Leichenschmaus in Loccum“ über eine Tagung von Kriminalschriftstellern), die tatsächlich die interessantesten der Sammlung sind und bleiben werden. Speziell „Leichenschmaus in Loccum“ gehört zum Besten, was je über moderne deutsche Literatur geschrieben worden ist. Insofern find ich die Entscheidung des Diogenes-Verlags, nachvollziehbar, bei seiner kürzlich erfolgten Neuauflage der Essays Fausers andere Kriterien als beim Original anzulegen, um die Lektüre, sagen wir, interessanter zu machen. „Der Klub, in dem wir alle spielen: Über den Zustand der Literatur“ (2020) trifft trotz fragwürdiger Cover-Gestaltung und gesalzener Preise ins Schwarze, weil das Buch einen thematisch-chronologischen Aufbau hat und das Thema nichts von seiner Brisanz verloren hat (schön zu lesen ist auch das Vorwort von Katja Kullmann). Ich hatte die Essay-Sammlung ja vor Jahren schon einmal gelesen und hier rezensiert. Es ist wohl an der Zeit, sich diese Artikel noch einmal vorzuknöpfen.
Ich hatte ja Jörg Fausers „Rohstoff“ vor einigen Jahren hier an diesem Ort schon einmal rezensiert, kann mir also die Zusammenfassung des Inhalts ersparen, die man sehr gut auch hier findet: Frankfurt am Main in der Literatur.
Fausers Roman ist leider trotz inzwischen zahlreicher hymnisch-elegischer Rezensionen bis auf den heutigen Tag nicht seinem Potential gemäß gewürdigt worden. Fauser gilt als Krimi-Autor (sprich U- und Schundliteratur) und war Junkie/Alkoholiker, was es vielen professionellen Literaturkritikern und Kulturallgewaltigen immer noch schwer macht, einzugestehen, dass „Rohstoff“ zumindest einer der wichtigsten Romane Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg ist und wahrscheinlich auch, weit darüber hinaus und zugestanden ohne jede Möglichkeit der Beweisführung, weltweit zu den wichtigsten literarischen Protesttexten gehört, die seit der Romantik gegen die Schattenseiten der Industrialisierung und des Kapitalismus geschrieben worden sind, und die nicht verhindern konnten, dass genau diese Industrialisierung und genau dieser Kapitalismus die Erde in ein paar hundert Jahren endgültig zerstört haben werden.
Fausers Schreibstill ist 1984, als der Roman erscheint, nach der Junkie-Phase und William Burroughs, inzwischen stark von Charles Bukowski (und vermutlich auch anderen, mir unbekannten, nordamerikanischen Krimi-Autoren wie Raymond Chandler) beeinflusst. Das ist natürlich auch schriftstellerisches Handwerk, zum Beispiel bei der eigentlich unzulässigen Übertragung der Bedeutungsebenen von Adjektiven auf Subjektive. So beschreibt Fauser an einer bestimmten Stelle des Romans (ich zitiere aus dem Gedächtnis) eine Frau, die ein Halstuch „schlampig“ trägt und bezieht sich dann, einige Zeilen später, mit dem Substantiv „Schlampe“ auf diese Frau. „Schlampig“ ist ja abwertend, aber lässt Platz für Sympathie, „Schlampe“ ist böse und ein Schimpfwort. Man schmunzelt über den gelungenen literarischen Taschenspielertrick. Doch eigentlich sind es mehr die vielen lakonischen Pointen, die den Schreibstil prägen, so etwa, als Harry Gelb sich ein zweites Mal bei der Bundesbank als Aushilfspförtner bewirbt.
„Ach, Sie sind das“, sagte er und nahm die Brille ab. Er war in der kurzen Zeit zehn Jahre älter geworden. Ich mindestens zwanzig. „Herr Gelb, ja, ich erinnere mich. Sie haben aber damals fristlos gekündigt, nicht wahr? Künstlerische Laufbahn, das war es doch? Und jetzt wollen Sie wieder zu uns? Na, ich werde sehn, was sich da machen läßt. Sie finden ja den Ausgang.“
Ich fand ihn. Von der Bundesbank hörte ich nichts mehr.
(Kapitel 41)
Der Roman ist voll mit diesen gelungenen Pointen, die meistens auch bittere Kommentare und Lebensweisheiten sind und die sich alle paar Jahre bei einer neuen Lektüre dann wieder entdecken lassen. Ich zitiere hier drei von den vielen dutzenden, von mir sorgfältig in leuchtendem Gelb markierten Stellen.
Ob Verleger oder Redakteure, ob Bonzen oder Mitläufer, es war alles die gleiche Gesellschaft, die funktionierende Kulturklasse, und ob ich ihnen als bemühter Schreibsklave kam oder als Cut-up-Junkie, als Genosse oder als Geselle, für sie war ich nichts anderes als ein Agent provocateur, ein Agent der dunklen Kräfte, vor denen sie ihre Bausparverträge retten mußten, ihre Pöstchen und ihre Frauen.
(Kapitel 32)
Endlich ging es nicht mehr um Liebe, ich war die Liebe los und das Bewußtsein auch, es war ganz einfach, man konnte sie ertränken und auslöschen, alles in einer Nacht, in einem Rausch mit einer wilden, bösen Nummer. Wenn man drei, vier Frauen brauchte, dann bekam man sie auch, und die Liebe störte nur, wie das alberne Suchen nach dem Sinn der Geschichte. Es gab keinen Sinn, es gab nur Mord und Totschlag, und das Auf und Ab von unten und oben.
(Kapitel 33)
Mit der Diskussion hatte ich nicht gerechnet. Ziel der Diskussion schien es zu sein, den Autor kleinzukriegen, es war der Augenblick, in dem die mit einer 2 im Deutschen den Mund aufmachten und zur Sprachkritik ansetzten, ja, war das denn überhaupt gutes Deutsch, diese zerhackten Sätze, konnte man denn vom Leser erwarten, daß er das mitvollzog, und waren das überhaupt Gedichte, oder war das nicht doch Prosa, aber eben auch nicht Alltagssprache, so eine aufgemotzte Sprache, und das Sexuelle, mußte man das so krass aussprechen, es war ja fast irgendwie frauenfeindlich, und dann fehlten in diesen Texten doch auch irgendwie alle sozialen Bezüge. Das ist Entertainment, dachte ich, das ist Literatur, für 50 Mark mußt du auch noch auf die Knie fallen und sagen, ich bin ein Vollidiot, ein Nichtsnutz, ein asozialer Weiberfeind, eine Gefahr für die öffentliche Ordnung.
Penzel, Matthias und Waibel, Ambros: Rebell im Cola-Hinterland – Jörg Fauser. Kalus Bittermann. THIAMAT. Berlin. 2004.
Penzels und Waibels Fauser-Biografie lesen eh nur wenige Fans. Jörg Fauser hat nie ein großes Massenpublikum erreicht. Die 2004 veröffentlichte Biografie ist zudem längst vergriffen und nur zu Preisen zu bekommen, die außer für hartgesottene Fauser- Fans indiskutabel sind. Vielleicht wäre es an der Zeit, das Buch neu aufzulegen, bevor die Preise endgültig ins Kraut schießen (Halt, ich lese gerade, dass eine Neuausgabe der Fauser-Biografie für das Jahr 2024 bei „Diogenes“ geplant ist).
Es ist also unnötig hier die biographischen Stationen Fausers abzurattern, die man am besten in der „Zeittafel“ am Ende des Buchs von Penzel/Waibel und natürlich auch im Internet nachlesen kann.
Deshalb hier an dieser Stelle nur ein paar persönliche Kommentare.
Wenn mich jemand fragen würde, welchem Schriftsteller ich mich emotionell am nächsten fühle, wenn ich spontan antworten müsste und nicht die Zeit hätte, solche Vorlieben chronologisch-biographisch-rational zu reflektieren, würde ich Jörg Fausers Namen nennen, nicht Rolf- Dieter Brinkmanns, der mir dann doch einen Zacken zu norddeutsch-stur ist.
Warum Jörg Fauser?
Das hat vermutlich viele Gründe, von denen ich einige hier ziemlich ungeordnet nenne:
Fauser hat keine Heimat. Er lebt in Frankfurt, Berlin, London, Istanbul, Göttingen, Berlin, München, will am Ende seines Lebens sogar nach Südostasien auswandern.
Rebellen-Attitüde und biografisch-authentische Identifikation mit dem literarischen Untergrund, obwohl er 1987 für seinen letzten Roman „Die Tournee“ problemlos DM 100.000 Vorschuss bekommen hätte. Ablehnung des traditionellen deutschen Literatur- und Kulturbetriebs und kritische Nähe zu den damaligen Subkulturen in Frankfurt und Berlin. Flucht aus dem „Norden“ (Deutschland) in den unmöglichen „Süden“ der Türkei (Istanbul).
Nähe zur nordamerikanischen Subkultur (Burroughs, Bukowski).
Keine Stipendien, keine Preise, keine Gelder der öffentlichen Hand, keine Jurys, keine Gremien, kein Mitglied eines Berufsverbands, keine Akademie, keine Clique; verheiratet, aber sonst unabhängig. – Selbstauskunft Fausers, München, 25.12.1986.
Labile, literarische Identität, die zwischen Lyrik, Roman, Drama, Essay, Artikel, Redaktion, Film etc. schwankt und vor allem den Unterschied zwischen E- und U-Kultur ablehnt. Fauser wird heute generell immer noch als nicht ernstzunehmender Krimi-Autor klassifiziert. Man schaue sich auch mal (zum gleichzeitigen Lachen und Weinen) die eklige Stellungnahme des unmöglichen damaligen Kritiker-Platzhirschen Marcel Reich-Ranitzki anlässlich des Ingeborg-Bachmann-Preis 1984 an, um einen Eindruck der desolaten Situation des deutschen Literaturbetriebs in den 80ern zu bekommen. Heute ist es nur noch schlimmer!
Hinter süddeutschem hessischem Understatement profunde Kenntnisse der Weltliteratur. Fauser hat immer wieder gesagt, dass er nur ein mittleres Talent zum Schriftsteller hat. Viele seiner Texte erinnern an andere Schriftsteller, was Fauser aber sehr genau gewusst und reflektiert hat
Allerdings waren die guten Bücher schon alle geschrieben, sie standen in Buchhandlungen oder den eigenen Regalen, und so geriet ich zwangsläufig unter den Einfluß solcher Lebenskünstler wie Henry Miller oder Kerouac – allerdings wuchs ich in Frankfurt/M.-50 auf. (“Rohstoff“)
Von der Unbelehrbarkeit der Erde
Ich werde ein Haus bewohnen
und vielleicht ein anderes,
werde meinen Namen in die Tür schreiben wo ein anderer war
und ein anderer sein wird nach mir,
ich werde mit wenigen leben und wenige verlassen,
und werde zur Tür hinausgehen, durch die ich eintrat,
ohne Trauer, ohne Freude und Verlangen,
unbemerkt von den Tälern und Gärten der Erde
werde ich sterben
(1964)
Riecht das nicht penetrant nach Bertolt Brecht? Und ist es nicht trotzdem ein wunderschönes Gedicht?
Fauser, der Drogen-Schriftsteller, der „Sick-City-Lyrik“ schreibt und deshalb an Autorität beim Lesepublikum verliert. Heroin-gefährdet war ich nie, das waren nicht mehr meine Zeiten, aber vor Nikotin und Alkohol hab ich mich nur gerettet, weil mich bestimmte Lebensumstände davon entfernt haben. In anderen Lebensumständen hätte es auch anders kommen können. Grundsätzlich bin ich eine Sucht-Persönlichkeit, habe ich eine ähnliche mentale Drogen-Disposition wie Fauser.
Biographische Affinitäten: Natürlich ist Fauser 1944 geboren und ich 16 Jahre später im Jahre 1960. Mein Vater hätte er nicht sein können, aber vielleicht ein älterer Bruder. Von dem, was Fauser im Vollen erlebt hat, hab ich nur noch den letzten Zipfel erwischt. Auch Fauser ist Vater einer einzigen Tochter.
Von den in „Rohstoff“ obsessiv erzählten, jahrzehntelangen, unzähligen und endgültig (scheinenden) Verlagsabsagen kann auch ich ein trauriges Liedlein trällern. Fausers bitterer Humor und schneidender Sarkasmus sind hier sicher therapeutisch, helfen nicht nur dem gebeutelten hessischen Autor selbst, sondern auch seinen armen Leidensgenossinnen und -genossen im Geiste. Wir lassen uns nicht unterkriegen.