
„Rohstoff Elements“ ist, wie der Titel schon andeutet, eine Zusammenstellung von Texten, die im Sog von Jörg Fausers Schlüsselroman Ende der 60er bis Anfang der 70er entstanden sind. In dieser Zeit zwischen ca. 1967 und 1973 lebte Fauser zwischen Istanbul, London, Berlin, Frankfurt und Göttingen, bevor dann 1974 mit dem Umzug nach München eine neue Lebensphase beginnt. Doch während der dann vom renommierten Ullstein-Verlag 1984 veröffentlichte Roman „Rohstoff“ von Fauser entscheidend umgeschrieben worden (Basis war der in Rohstoff „Stambul Blues“ genannte, in Wirklichkeit mit dem Namen „Tophane“ beim Maro-Verlag 1972 veröffentlichte Text, der eher ein wildes Prosa-Gedicht als ein Roman und in „Rohstoff Elements“ mitabgedruckt ist) und durch den zeitlichen Abstand, die ironische Brechung und einen linearen Schreibstil erst für ein größeres Lesepublikum zugänglich gemacht worden ist, sind die hier versammelten Texte kaum für ein längeres Lesen genießbares, ja genau „Rohmaterial“, dessen Qualität unbestreitbar ist, aber dessen experimenteller, sperriger Untergrund-Schreibstil jede Lektüre mit Befriedigung zum Scheitern verurteilt. Man merkt hier in jeder Zeile den Einfluss von Fausers damaligem großen Helden William Burroughs: alles kreist um Drogen, Hässlichkeit, Sex, Tod, ein poetisch protokollierter Daueralbtraum, Schreiben, um den „Cold Turkey“ zu überleben, Als es Fauser dann schafft, sich von der Heroinsucht zu befreien, schlittert er ab 1974 in den gesellschaftlich eher akzeptierten Alkoholismus. Fausers neuer Held wird folgerichtig Charles Bukowski.
In kleinen Dosen konsumiert, sind manche der hier kompilierten Texte ganz einfach wunderbar, zum Beispiel das Gedicht „Charlie und Harry“ oder der Text „Cut-Up Special“.
Charlie und Harry
Trüber Sommernachmittag in Fat City,
sie hockten auf Harrys Bude und kippten Bier,
irgendwo im Hinterhof stieg eine Teenager-Party
und die Beatles leierten einen ihrer total
schwachsinnigen Songs runter,
»Lucy in the sky with diamonds«
oder sonst einen abgedroschenen Heuler.
Son abgedroschener Heuler, sagte Charlie,
aber die Miniröcke sind wohl immer noch scharf darauf.
Stimmt, sagte Harry, macht einen ganz fickrig.
Sex Sex Sex, sagte Charlie und warf die leere Dose
in den Abfalleimer,
bei dir was los?
Sex, sagte Harry, was ist das?
Shit, sagte Charlie, ich fang wohl an kirre zu werden,
ich bin so heiß dass ich Löcher in die Matratze brenne,
lauf drei Wochen mit ’nem Steifen von hier bis Timbuktu
rum,
aber wenn ich endlich was zwischen den Fingern hab
wird mir einfach alles fad, fad –
irgendwie rentiert sich der Aufwand nicht,
man könnte genauso ’nen Emmentaler pimpern
wenn du weißt was ich meine –
klar, sagte Harry, Emmentaler
mit rotem Pfeffer oder Nudelwalker von hinten
und ’ne Stefan-George-Erstausgabe ums ritzy zu machen,
oder einfach fürn Heiermann ’ne Gastarbeiterin
in der Anlage hinterm lnterconti, und samstagabends
all die kleinen brühwarmen Homos die im ZDF
über die Mattscheibe spritzen, ist schließlich
alles ’n Loch, und alles leer, immer gewesen-
Shit, sagt Charlie, von hier aus kann man direkt rübersehn,
und sie standen am Fenster und glotzten rüber,
die Beatles heulten auf höchster Lautstärke,
die Teenager kreischten und ließen ihre Beinchen sehn,
die Schmeißfliegen legten Eier,
sie tranken ihr Bier,
dann ging Charlie zur Spätschicht
und Harry versprühte eine Ladung Flit.
(erstmals als „Harry Gelb Story“ im Maro-Verlag 1973)
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Cut-up-Special
die andere hand kriecht schon über den seichten arsch, poröse
zungen halbierte hüften und die plomben, plastikmösen
/ fuck da geht euch einer ab, nichts als quassel, endlose
tassen kaffee, endlose zigaretten, endlose tampons die’s klo
verstopfen ein bisschen ruhe, das der irre braucht ist erst
jenseits der wupper / shit, ich hatte nichts zu hause zu
spachteln oder zu schlucken, dachte, nicht für die literarischen
schwanzlutscher, aber wer will mit denen schon an
einem tisch sitzen? ich hing vorne am tresen als die finnin
hereinsegelte, ein graziles zweizentnerweib, wahnsinnig/
ungefähr 30, hübsches puppengesicht und jetzt sag was: gehen
wir zu mir! also wir hieften die treppen hoch auf meine
bude & sie stieg aus‘ m rock, ich riss ihr die bluse runter &
den büstenhalter fuck jolly djesus, was für titten, saugnäpfe,
diese weiße masse fleisch, sie kichert und wie’s so geht …
ich will sie gerade besteigen klingelt’s telefon: ich sag na wer
dran? hadayat ullah, ach, deine gedichte haben mir gut gefallen
sagt er ich bins. wenn sie auch sehr romantisch sind,
sagt er, sag ich fuck, deswegen rufst du an, ja, irgendwo drücken
sie doch hoffnung aus, nur die genitive stören, ich sag
willst du mich verarschen, nein ich find die haben so einen
expressionistischen touch. ich sag bist du wirklich bekloptt
oder was? ja weißt du, wir sind doch heute irgendwie wei-
ter, sensibilisierter also sag ich, hör zu, ich hab was besseres
zu tun als ’nen literatenabwasch zu machen, ich hab hier ’ne
heiße votze im bett, seit monaten nichts mehr zwischen den
fingern gehabt, hadayat, verstehste, nix als malochen, nachtwächter,
eierträger, mein freier tag, mein freier tag und übrigens
hör mal zu: du bist doch dichter, ich !es dir ’n gedieht
vor, jetzt passe mal auf: trinkst du binding-bier dann steht
er dir, trinkst du henninger, dann hängt er dir trinkst du
brauhaus dann ist’s ganz aus und ich habe heut morgen binding
gesoffen, verstehste, aber er hat natürlich schon eingehängt
. . . . .. das beste versäumen sie ja immer; die genitive,
die expressionisten, ausrangierte wracke, gar nicht angetörnt,
aber sensibel, spirituell, hoffnung … … mit dem fauser,
sagense, geht’s bergab …
(Reprint aus „Ulcus Molle“ 1974, ursprünglich nur auf Kassette The Austria Connection, POT 9/3, Linz)