Jörg Fauser: Der Klub, in dem wir alle spielen: Über den Zustand der Literatur

Jörg Fauser, der bekanntlich unter reichlich tragisch-komischen Umständen 1987 mit nur 43 Jahren starb, ist heute außer in meiner Generation so ziemlich vergessen. In den 80-iger gab es einen kleinen Hype um ihn, einer seiner Kriminalromane wurde auch vermutlich ohne großen Publikumsandrang verfilmt, aber für die Literaturanthologien und Schulbücher hat es nie gereicht. Das hat viele Gründe, von denen mir mindestens zwei in den Sinn kommen: einmal war Fauser zeit seines Lebens drogenabhängig (erst Heroin, dann Alkohol) und ein solches Monster kann natürlich unseren naseweisen Sprösslingen beim emsigen Studium der deutschen Literaturgeschichte nicht zugemutet werden. Literatur hat ja immer noch diese schreckliche Aura des Erhabenen und Reinen, die vermutlich von der deutschen Klassik herrührt („Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!) und Fauser war wahrscheinlich tatsächlich weder besonders edelmütig, noch ein menschenfreundlicher Gutmensch. Jemanden mit einer Nadel in der Vene als Autor eines der wenigen wichtigen Romane der Nachkriegszeit („Rohstoff“) zu präsentieren, war dem pumperlgesunden Studiendirektor aus deutschen Landen dann doch zu viel des Schlechten.  Und dann hat Fauser ja auch keine ernstzunehmenden Romane geschrieben, das war und bleibt doch alles Schund-, Trivial- und Unterhaltungsliteratur. So tönte es schon damals aus dem Blätterwald der Feuilletonseiten und den plärrenden Mikrophonen von Literaturtagungen und Hauptseminaren. Nichts zu machen Jörg. Die Tür ist zu und bleibt auf ewig verrammelt.  Du warst und bist eine „persona non grata“ für die deutsche Literaturmafia.

Doch Fauser hat mehr zu bieten als es auf den ersten Blick scheint. Nicht nur die Lektüre des hier besprochenen Buches (das Rezensionen zwischen 1963 und 1987 veröffentlicht) beweist, ein welch engagierter und kompetenter Leser er war, auch schnelle biographische Notizen zeigen, dass der aus einem bildungsbürgerlichen Milieu stammende Fauser die deutsche und die Welt-Literatur aus dem Effeff kannte. Der Mann kennt sein Handwerk und weiß, wovon er spricht.  Und er macht das mit dem typischen hessischen (süddeutschen) Understatement. Seine dutzenden Rezensionen von Büchern in „der Klub, in dem wir spielen“ liest sich allerdings viel persönlicher, privater, polemischer und spannender als jede schimmlige Literaturgeschichte, die scheinbare Wahrheiten und Gewissheiten wie die olympischen Fackeln weiterreichen. Nur dass es in der Literatur und Kunst keine Gewissheiten und ewigen Wahrheiten geben kann, im Gegenteil: echte Kunst hat Wahrheiten und Gewissheiten immer in Frage gestellt und zerstört. Das war immer unbequem und anstrengend und hat immer schon die all-time-haters aus allen Zeiten und Orten auf den Plan gerufen. Jetzt sag doch mal nichts gegen meinen Lessing, Goethe, Thomas Mann oder Franz Kafka, du Banause!

Dass Fauser die (zugegeben nicht immer) Reichen und Schönen der deutschen Literaturgeschichte kannte, ist selbstredend. Nur dass er sie kaum eines Wortes erwähnt oder böse gegen sie losledert. Kein Novalis, kein Eichendorff, kein Keller, kein Büchner, kein Hauptmann, noch nicht mal Döblin oder sonst einer der großen Namen. Über die ist wahrscheinlich schon so viel geschrieben worden, dass es sich nicht lohnt, seinen eigenen Senf dazuzugeben. Das ist natürlich auch das kritische rote Jahrzehnt und, mehr noch, die Punkattitüde der achtziger. Böll, Grass, Handke werden zwar ab und zumal im Buch erwähnt, aber nur, um seiner großen Abneigung gegenüber ihnen Ausdruck zu verleihen. Überhaupt hat es Fauser mit den Tendenzen der damaligen Gegenwartsliteratur (und diese Kritik müsste wahrscheinlich heute noch schärfer ausfallen): zu viel Innerlichkeit und Wehleidigkeit einerseits, zu heftiges Schwenken der roten Fahnen andererseits. Die deutsche Lyrikszene findet er besonders beschissen (Artikel „Fader Geschmack“). Alles geschlossene Gesellschaften mit dem damaligen Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki als nie hinterfragtem Häuptling. Leichenschmaus in Loccum, wie einer der Artikel im Buch heißt. Dort liest man:

War nicht jedes Thema, das die Bildung, insbesondere die Fortbildung, aufgriff, von vornherein erledigt, so peinlich wie das Spülwasser von gestern und so passé wie die Schlagzeile von heute früh? War nicht dieses ständige hündische Beschnuppern, Besabbern, Begrapschen und Anspringen jeglichen halbwegs originellen Gedankens, den 4000 Jahre Kulturgeschichte ausgespien haben über die Leichenberge hinweg, der endgültige Tod jedes halbwegs originellen Gedankens? Ich biss in die niedersächsische Pizza und dachte: So tot wie dieses Stück Mürbeteig sind alle Themen, die je in Bildungskreisen zur Diskussion gestellt wurden. Und tot wie unsere Themen sind wir selbst. Ich blickte mich um. Lauter Tote, die sich tote Themen und toten Fraß in ihre leichenstarren Münder stopften. Loccumer Leichenschmaus. Ich wollte nicht tot sein. Ich flüchtete in die Kneipe.

Retten tut Fauser nur wenige: Andreas Gryphius, Günther Eich, Gottfried Benn, Else Lasker-Schüler. Ansonsten mag er Joseph Roth und Rudolph Dietzen/Hans Fallada (beide mit erheblichen Drogen- und Alkoholproblemen) und dann viele heute ziemlich unbekannte (zumindest mir), aber oft denke ich, absolut entdeckenswerte Schriftsteller: der Schweizer E.Y. Meyer, Jürgen Ploog, der Italiener Dino Segre (Pittigrilli), Hans Frick, Hans-Werner Kettenbach, Karl-Günther Hufnagel. Da hat man als Leser/in doch zumindest die Gewissheit, nicht alles schon vorher zu kennen, sondern sich nach der Lektüre auf literarische Entdeckungsfahrt begeben zu können.

Aber eigentlich mag Jörg Fauser ja die nordamerikanische Literatur. Nicht umsonst heißt die letzte Rezension „Letztlich … Die amerikanische Literatur ist vital, die deutsche schlapp“. Ich befürchte, dass es dieses Schlupfloch heute nicht mehr gibt in Zeiten, in denen auch die nordamerikanische Literatur immer mehr ihre gesellschaftsverändernde Kraft verloren hat wie im Übrigen natürlich auch die Literatur auf der ganzen Welt. Den optimistischen Glauben an die Literatur, den sich Jörg Fauser bewahrt hat, haben wir inzwischen alle leider verloren. Literatur ist heute immer weniger lebendige Literatur und immer mehr Geschichte der Literatur. Und dieser Prozess wird sich in den nächsten Jahrzehnten immer mehr verstärken.

Vor allem nordamerikanische Literatur (wie gesagt), wenn man einmal von dem Engländer George Orwell und dem Schweden Per Wahlöö absieht. Fauser mag Hemingway (von dessen sarkastischen und lakonischen Stil er sich sicher mehr als eine Scheibe runtergeschnitten hat), er mag die Beats (Jack Kerouac und William Burroughs), er mag Charles Bukowski, mit dem er persönlich ein langes Interview geführt hat. Aber Fauser mag vor allem die amerikanischen Kriminalromane, deren Weltbild ihm wohl behagte: das Leben ist kurz und schlecht, Fressen oder Gefressen werden, du bist moralisch im Recht, aber das nützt dir nichts, denn der serienmäßige Bandit schießt dich über den Haufen, Liebe gibt es keine und ich geh dann mal eben schnell ins nächste Puff.

Fauser mag Chester Himes, Eric Ambler, Dashiell Hammett, Raymond Chandler, Graham Greene, Federic Forsyth, Mickey Spillane, James Hadley und andere mehr. Das ist ein Genre, wo ich persönlich wenig mitreden kann und das mich auch wenig interessiert. Fausers Kriminalromane (zum Beispiel „Der Schneemann“ (1981) oder „Das Schlangenmaul“ (1985)) halte ich eher für Fausers schwächere literarische Leistungen.

Als Dessert noch einige Zeilen aus Fausers Verriss des damals letzten Romans von Günther Grass „Die Rättin“:

Immer wenn Günter Grass wieder einen Roman geschrieben hat, legt der Kritikerpapst in Frankfurt das beste Oberhemd an, die beste Krawatte. Dienstbekleidung. Mit ihnen ist er groß geworden, mit Heinrich Böll und Martin Walser, mit Siegfried Lenz und Günter Grass, und sie sind groß geworden mit ihm. Letzte Saison war ja fulminant, als sie alle mit ihren neuen Romanen rauskamen und der Böll auch noch gleich gestorben ist, ein richtig guter Herbst war das, nur der Grass sei nicht rechtzeitig fertig geworden, hieß es, der Kritikerpapst weiß es besser. Der Grass hat es vorgezogen, im Frühjahr rauszukommen, allein, da ist er dann der Platzhirsch. Dem Kritikerpapst gefällt diese Einstellung nicht. Vielleicht wäre es an der Zeit, dem Mann klarzumachen, dass 500 Seiten Geraune und Gestaune, Suppenrezepte und Märchenaufguss, kaschubische Secondhand-Folklore und politisches Round-table-Gedöns noch lange kein Roman sind.

Der Klub, in dem wir alle spielen: Über den Zustand der Literatur

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