Im Schießstand

Ich weiß, dass es nicht schön ist, wenn man sich von manchen seiner Obsessionen nicht befreien kann, und ich befürchte auch, dass solche Zwangsvorstellungen kein gutes Licht auf mich werfen. Bestenfalls gilt man als wenig intelligent, wenn man denselben Tee ständig neu aufgießt. Manche werden auch niedrige Beweggründe (Neid, Missgunst) hinter solchen Manien vermuten. Wie dem auch sei, ich schäme mich nicht einzugestehen, dass bei mir jedes Mal, wenn ich bestimmte Interviews oder biographische Notizen von zeitgenössischen Schriftsteller(innen)n lese, die Galle überläuft und die Wutflammen hochzüngeln. Nehmen wir (noch einmal) als Schießscheibe die Deutsch- Amerikanerin Ann Cotten, die mancherorts als Lichtgestalt der aktuellen Literaturszene und als Fräuleinwunder der deutschen Lyrikszene gepriesen wurde und die ich sogar bei einem Treffen am Goethe-Institut in Neapel (2012? 2013?) selbst aus „Fremdwörtersonetten“ vorlesen gehört habe. Inzwischen sind ja wieder ein paar Jährchen ins Land gegangen. Die Dame scheint recht aktiv zu sein und ständig neue Bücher zu veröffentlichen. Da ihre Bücher für mich unleserlich sind (ich habe es vergeblich mit den Fremdwörterbuchsonetten und Der Schaudernde Fächer versucht), habe ich mir dieses Mal ihr Interview (mit wem?) im Web auf „suhrkamp logbuch“ durchgelesen und ihren aktuellen Wiki-Eintrag angesehen. Was fällt da auf?

Einmal finde ich eine gewisse Underground- und Rebellinnen-Attitüde bei einer nunmehr doch fast vierzigjährigen Frau ziemlich lächerlich und unglaubwürdig, die seit 2007 jedes Jahr fette Literaturpreise einsackt, Teil des deutschsprachigen Mainstream-Kulturrummels ist, mit den Goethe-Instituten auf der ganzen Welt zusammenarbeitet, beim berühmten Suhrkamp-Verlag veröffentlicht und Bücher übersetzt, 2017 in die Berliner Akademie der Künste aufgenommen wurde etc. New German Beat Generation? Als Made im Kulturspeck kann man leicht gegen Gott und die Welt losledern und anstinken, nur dass das alles nicht sehr authentisch rüberkommt. Das ist „radical chic“ in Reinkultur und in Wirklichkeit wahrscheinlich schlicht und einfach Fake. Immerhin klingt in dem Interview an bestimmten Stellen auch ein bisschen (ich weiß nicht wie ehrliche) Selbstkritik auf:

Manchmal habe ich ja selbst Angst – man wird eben ein bisschen verrückt, wenn man nicht das »normale« Leben lebt, sondern von irgendwoher Geld bekommt und nicht spürt, wie es zusammenhängt mit dem, was man arbeitet: ein bisschen irreal. Es ist natürlich auf Anhieb gesehen ein Glück, aber es kann einen deformieren. Sogar, wenn man aufpasst. Stipendien, Preise und so weiter … Jetzt habe ich schon fünf Jahre, bis auf das Semester in Nagoya, gelebt, ohne einen normalen, alltäglichen Job zu haben. Habe zwar immer was zu tun, aber …

Ein zweiter Punkt, der mir bei Ann Cotten einen sauren Magen verursacht, ist vielleicht sogar wichtiger, weil es hier nicht nur ums schnöde Geld und materielle Überleben (die ja auch als Mundraub durchgehen können), sondern ums Verständnis von Literatur selbst geht. Von einer wie auch immer reflektierten sozialen Funktion der Literatur ist nie die Rede in dem besagten Interview, alles dreht sich im Ringelreihen um sich selbst, Literatur verkümmert zur Literaturtheorie, zum Spiel im Elfenbeinturm für wenige Reiche und Schöne, oder zumindest Satte und Privilegierte. Rapunzel hat längst einen modischen Kurzhaarschnitt und kann kein Haar mehr herunterlassen. Literatur mit Plüsch und Wattebausch außen und unten rum, elitär, abgehoben, irrelevant, uninteressant. Literatur fürs ewige Licht in den Goethe-Instituten, für Literaturseminare (die mit den vielen Fremdwörtern, die keiner versteht), als zahn- und belangloses Zahnrädchen in der weichgekochten Globalkultur des 21. Jahrhunderts. Alles bitte und das Gegenteil von allem bitte gleich mit dabei.

Von Oktober 2020 bis Juni 2021 ist sie Junior Fellow am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien und arbeitet dort an einem Promotionsprojekt mit dem Titel Vorarbeiten zu einer empirischen Ästhetik, die auch für Maschinen funktioniert: Ein Evaluationskit für die Recyclingfähigkeit existierender Theorien.

Ich versteh da leider nur Nordbahnhof, wenn ich das im Wiki-Eintrag über sie lese. Oder aus dem schon mehrfach zitierten Japan-Interview:

Nicht anything goes und dann aber völlig undurchsichtige Erfolgs- und Selektionskriterien nach modischer Sexiness, Irrtümern, Reaktionen, angstgetriebener Selektion der Erfolgreichen, blinder, künstlich verstärkter Sozialdarwinismus als unerkannter Einfluss auf eine heimlich extrem normative Ästhetik. Die extreme Diskrepanz zwischen den proklamierten Werten und der sozialen Wirklichkeit ist ein auch ästhetischer Schmerz.

Das ist Akademiker-Sprech in Reinkultur, Aussagen, durch die der Wind, das himmlische Kind pfeift, vollmundig ja, aber inhaltsleer und unverständlich. Fallen, in welche eine Schriftstellerin nicht reinlaufen sollte.  Darf man bitte schön öffentlich sagen, dass man nicht automatisch saudumm sein muss, wenn einen solche theoretischen Positionen und solche Literatur nicht interessieren? Wahrscheinlich ist Ann Cotten ja auch nur hoffnungslos überbewertet und ein gutes Beispiel dafür, in welchem hoffnungslos desolaten Zustand die deutsche Gegenwartsliteratur und die deutsche Verlagskultur seit Jahrzehnten dahinvegetiert.

Verwundert liest man im Wiki-Eintrag auch von gegenderter Sprache oder polnischem Gendering. Greisenni? Teilnehmemnnie? Betrachterni? Oberunterösterreichermnnie? Hä? Ich versteh schon wieder nur Bahnhof Uelzen. Und bekomme den Verdacht nicht los, dass man hier mangels Ideen und Inhalten auf solche schrägen (möglicherweise vom Ansatz her vielleicht auch legitimen, aber linguistisch hilf- und haltlosen) Abstrusitäten ausweichen muss, damit die Literaturshow heiter und munter weitergeht.

Last not least, spricht Ann Cotton in dem Japan-Interview offensichtlich auch viel über die japanische Literatur und Kultur. Ich kann da nicht mitreden, aber bekomme trotzdem den Eindruck nicht los, dass die geäußerten Einsichten über Buddhismus, Kanjis, schamanistische Frauen, Pretas, Gelsen, Rinne-Tensho, Gakis  usw. sehr an der Oberfläche hängen bleiben. Das scheint mir manchmal schon kulturelles Insel-Hüpfen. Ein halbes Jahr als Stipendiatin in Tokyo, und sofort wird 2016 ein Buch mit dem mysteriösen japanischen Titel Jikiketsugai, Tsurezuregusa veröffentlicht. Im selben Jahr dann schnell noch ein Buch auf Englisch Lather in Heaven! und ein Jahr später Fast dumm! Essays von on the road. Profunde Kenntnisse des japanischen Buddhismus entwickeln sich wohl anders.

https://www.logbuch-suhrkamp.de/ann-cotten/mit-allen-mitteln-in-die-konvention/

https://de.wikipedia.org/wiki/Ann_Cotten

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