Meine Erfahrungen bei der Lektüre von philosophischen Büchern im Original waren lange Zeit eher traumatisch. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich mir Anfang der achtziger Jahre während meines Philosophiestudiums, das ich nach ein paar Semestern abgebrochen habe, die Zähne an unverdaulichen Texten wie Monadologie, Die Kritik der reinen Vernunft, Phänomenologie des Geistes und anderen Geistesblitzen mehr ausgebissen habe. Als ich dann Mitte der achtziger Jahre auf Schopenhauers Die Welt als Wille und Vorstellung stieß, war das eine regelrechte Erleuchtung für mich. Zum ersten Mal hatte ich einen Philosophen gefunden, der mir aus der Seele sprach und den ich verstand.
Ein bisschen ähnlich wie mit Schopenhauers Buch ist es mir jetzt bei der Lektüre von Byung-Chul Hans Büchlein Im Schwarm ergangen. Ich hatte sofort das Gefühl und Bewusstsein, dass hier jemand Gemütsverfassungen und Betrachtungen artikuliert zur Sprache gebracht hat, die auch meine eigenen geistigen Jagdgründe ausmessen.
Ohne dass ich an dieser Stelle eine genaue Analyse der 16 kleinen Kapitel liefern will, versucht Han die erste mir bekannte überzeugende Abhandlung über ein Phänomen, das allgemein digitale Revolution genannt wird. Dabei holt er sehr weit aus und geht bis auf Marshall McLuhans Schriften der sechziger Jahre zurück, als dieser schon 1964 von einem radikalen Paradigmenwechsel im Zusammenhang der Verbreitung der Massenmedien (vor allem des Fernsehens) sprach.
Die neue digitale Revolution , die für viele auch heute noch mit scheinbar positiven Werten wie Fortschritt, Modernität, Effizienz usw. positiv besetzt ist, bedeutet für Han den Fall in den Abgrund einer totalitären Überwachungsgesellschaft, wo vereinzelte Egoshooter ohne Bindungsfähigkeiten und Solidaritätsgefühle in den sozialen Netzwerken pausenlos pornographische Peep-Shows inszenieren. Die angebliche Freiheit ist längst in die erdrückenden Konformitätszwänge einer postindustriellen Gesellschaft umgeschlagen, wo nicht mehr skrupellose Kapitalisten die Industriearbeiter ausbeuten, sondern ständig präsente und verbundene Smartphones und Tablets die Selbstausbeutung zur Regel machen.
Sehr empfehlenswerte Lektüre.
© Wolfgang Haberl 2017