Die Nord-Süd-Problematik in Italien (eine erste sehr oberflächliche Annäherung)
Über die Unterschiede zwischen dem Norden und dem Süden des Landes, deren Gründe und Auswirkungen, wird seit endlosen Jahrzehnten hier in Italien in allen Medien kontrovers diskutiert. Schon 1873, gleich nach der Vereinigung Italiens, hatte der lombardische Abgeordnete Antonio Billia den Begriff questione meridionale geprägt und auf die katastrophale wirtschaftliche Situation des italienischen Südens hingewiesen. Das Thema ist also mehr als ausgeleiert. Ich lebe zwar jetzt schon zehn Jahre in Neapel und fahre seit 25 Jahren jeden Sommer regelmäßig noch weiter nach unten in den Salento, wo meine Frau herkommt, trotzdem fühle ich mich nicht im geringsten kompetent, dieses komplexe Thema noch nicht einmal ansatzweise zu diskutieren. Warum? Man öffnet die Büchse der Pandora. Alles stinkt plötzlich penetrant nach Schwefel. Ich begnüge mich deshalb hier erst einmal mit einigen banalen Tatsachen aus der Wunderkiste der Geschichte. Der Süden Italiens wurde seit dem 18. Jahrhundert von den Bourbonen (und damit vom spanischen Könighaus) regiert, die aus diesem Grund die Verantwortung für die desolate Situation übernehmen müssen, in der das Königreich der Zwei Sizilien 1860 mit Norditalien zum Königreich Italien vereint wurde. Die Dynastie der Bourbonen gab in Süditalien einen Großteil ihrer Finanzen für Repräsentation (Hofhaltung) und Unterdrückung (Armee, Polizei, Justiz) aus, um sich selbst als herrschende Kaste an der Macht zu halten. Beispiele gefällig? Im Jahre 1854 wurden 14 Millionen Dukaten für das Heer, 6,5 Millionen Dukaten für die Schuldentilgung, aber nur wenig mehr als eine Million Dukaten für Schule, Gesundheit und Infrastruktur ausgegeben. Sechs Jahre später im Jahre der ersten Einigung Italiens war die Situation noch katastrophaler: fast die Hälfte der Staatsausgaben waren für das Militär, die Polizei, das Justizwesen. Gerade einmal ein Prozent floss in das öffentliche Schulsystem. Wahrscheinlich gehen die Unterschiede zwischen Nord- und Süditalien aber noch sehr viel weiter in die Geschichte zurück. Möglicherweise existierten sie schon in Zeiten des Zusammenbruchs des Römischen Reichs und verstärkten sich im späten Mittelalter, als in Norditalien eine Stadtkultur erblühte, die es in Süditalien nie gab. Auch die organisierte Kriminalität (Mafia, Camorra, Ndrangheta) schlägt ihre Wurzeln weit zurück in der Geschichte in der Revolte der Briganten gegen den neuen italienischen Staat, mit dem sich ein Großteil der süditalienischen Bevölkerung nicht identifizierte.
Ich bin während meiner Mini-Recherche auf Emanuele Felices Buch: „Perché il Sud è rimasto indietro“ (2014) gestoßen, das bisher meines Wissens nicht ins Deutsche übersetzt wurde. Das hab ich mir bestellt und werde ich lesen. Dann melde ich mich wieder zum Thema zurück.