Mühsamer Jean Paul

Jean Paul ist schwierig zu lesen. Das ist einer der Gründe, warum er heute zwar Teil des Literaturkanons, aber trotzdem fast vergessen ist und kaum freiwillig gelesen wird. Selbst durch eine kleine, kaum mehr als 60 Seiten lange Erzählung wie sein Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz“ muss man sich durchquälen, Sätze mehrmals lesen, zurückblättern, um den Gedankengang neu aufzunehmen. Die Sätze Pauls sind zu verschachtelt, die dahinter stehenden Gedanken zu verwickelt, die Sprache zu verschlungen und hintergründig, als dass eine einfache Lektüre möglich wäre. Man müsste wahrscheinlich eine Erzählung wie den Wutz fünf- oder sechsmal lesen (was ich nicht gemacht habe) , um an einen Punkt des Verständnisses oder Unverständnisses zu kommen,  wo man sich als Leser nicht mehr vorwerfen muss, man habe den Text einfach zu schnell und oberflächlich gelesen. Jean Pauls schwieriger Schreibstil ist unter Fachleuten bekannt. Er gilt sogar manchmal als Vorläufer ante litteram“ der inzwischen ein wenig aus dem Blickfeld gerückten postmodernen Literatur. Jean Pauls 1793 erschienenes Erstlingswerk  „Die unsichtbare Loge“, in welches unser „Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz“ eingebettet ist, strotzt vor Querverweisen, abgebrochenen Handlungsverläufen, Intertextualität, Metafiktionalität und was alles sonst noch Merkmale eines postmodernen Romans sein sollen. Einfache Leser kann man sich natürlich mit solch komplizierten Büchern nicht gewinnen. Man sollte aber vor allem nicht vergessen, dass es der in der tiefen Provinz geborenen Dorfpfarrerssohn Johann Paul Friedrich Richter viel schwerer hatte als die etwa gleichaltrigen Klassiker Goethe, Schiller, Herder, Wieland. Ein Studium in Leipzig musste er wegen Armut abbrechen. Intensives Lesen zuerst und sein besessenes, assoziatives Schreiben danach war für Jean Paul vielleicht die einzige Möglichkeit aus dem Provinzmief auszubrechen. Und tatsächlich schaffte er es dann von 1798 bis 1800 in Weimar zu leben und die gerade erwähnten Klassiker zu treffen, mit deren sozialer Herkunft, Gedankenwelt und Schreibstil er eigentlich nicht das Geringste zu tun hatte. Von 1790 bis 1794 war Jean Paul tatsächlich ein „Schulmeisterlein“ an einer Grundschule in der Provinz. Die Erzählung „Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz“ projektiert wohl die Ängste des damals siebenundzwanzigjährigen Jean Paul , wie sein Vater als verschrobener, kauziger Grundschullehrer, Organist und Dorfpfarrer zu versumpfen, bevor dann sein Erfolg als Schriftsteller ihn von der Notwendigkeit eines Brotberufs entbindet und eine ungewöhnliche und bizarre Künstlerkarriere im vorindustriellen Deutschland beginnen kann, die allerdings dem Leser viel Mühe macht.

Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz

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