Die öffentliche Meinung zu Jan Böhmermann ist gespalten. Die Große Koalition streitet. Die deutschen Stammtische beben. Was denke ich zum Thema?
Jan Böhmermanns Schmähkritik gefällt mir überhaupt nicht. Hier kommen Vorurteile gegenüber Muslims in sehr verletzender und dummer Form ohne die nötige Differenzierung und Reflektion zur Sprache. Es ist von Sex mit Tieren, Kinderpornographie und dem Kerkermeister von Natascha Kampusch Wolfgang Priklopil die Rede. Je mehr und unqualifizierter, desto besser. „Sowas“ mit 18 Jahren zu schreiben würde fehlendes Talent offenbaren, wäre aber noch verzeihbar. Mit 37 ist es nur noch peinlich.
Erdoğan ist mir höchst unsympathisch. So ungefähr wie Donald Trump oder Wladimir Putin. In der Türkei gibt es keine Pressefreiheit, die Menschenrechte werden mit den Füßen getreten, die Frauen sind sieben Meilen weit davon entfernt, gleichberechtigt zu sein, die Minderheitenrechte der Kurden werden niedergebombt, die türkische Politik ist heuchlerisch und undurchsichtig. Aber vor allem hätte Erdoğan lockerer und souveräner mit Böhmermanns Schmähkritik umgehen müssen. In Wirklichkeit hat er sich nicht eingekriegt, sondern einen Münchner Anwalt eingeschaltet und den Satiriker Böhmermann sogar dreimal verklagt (§103, §185 plus Unterlassungsklage). Der Mann schäumt vor Wut und will Rache. In der Türkei laufen 1800 solcher Prozesse wegen angeblicher beleidigender Äußerungen. Wenn Böhmermanns Gedicht dumm war, dann war Erdoğans Reaktion der beleidigten großosmanischen Leberwurst noch dümmer.
Jeder kennt ja das fälschlicherweise Voltaire zugeschriebene Bonmot zur Meinungsfreiheit: „Ich missbillige, was Sie sagen, aber ich werde bis zum Tod Ihr Recht verteidigen, es zu sagen“. Im jetzigen Interessenkonflikt ist es wichtiger, diese Freiheit der Kunst und Meinungsäußerung zu verteidigen als die verletzten Persönlichkeitsrechte Erdoğans. Und das umso mehr, wenn Jan Böhmermann eh schon mit Hunderten von deutschlandweit eingereichten Anzeigen nach §103 (einfache Beleidigung) zugehagelt worden ist. Jetzt muss er sich auch noch wegen Majestätsbeleidung nach §185 herumschlagen, ein veralteter Strafbestand, der in zwei Jahren abgeschafft werden soll. Das ist surreal und bekräftigt den vielfach geäußerten Vorwurf, dass Merkels Entscheidung von der aktuellen Realpolitik zumindest beeinflusst worden ist.
Da wäre ein richtiges, Böhmermann entlastendes und politisch mutiges Signal von Frau Doktor Merkel gegen Erdoğans Primadonna-Gehabe wichtig gewesen.
Der doofe Konjunktiv II. Hätt’ der Hund nicht geschissen, hätt’ er den Hasen erwischt. Aber jetzt bin ich froh, dass nicht mehr so viel über Jan Böhmermann, sondern über Wichtigeres gesprochen wird. Bei so viel Solidarität für den Künstler wird es sicher auch eine gemeinschaftlich gestiftete Kasse für die Rechtsanwaltskosten geben.
P.S. Wer sich ein eigenes Urteil bilden möchte, kann sich hier den Ausschnitt aus Böhmermanns Sendung und den Text der Schmähkritik ansehen.
Quellen (Stand:16.04.2016)
http://www.urbanshit.de/schmaehkritik-jan-boehmermann-erdogan-gedicht-video/