Rumstänkern

2011-07-30-Ballonverk-8a

Vielleicht verschwende ich nur meine Zeit, wenn ich mir über den deutschen Literaturbetrieb das Maul zerreiße. Da die Strukturen seit Jahrzehnten festgefahren sind, wird es nämlich zu Änderungen nicht kommen. Es geht in erster Linie ums Geld, und da hört bekanntlich der Spaß auf. Neuerungen würden dazu führen, dass viele, die lange gut verdient haben, viel weniger oder gar nichts mehr kriegen. Dagegen wehren sie sich natürlich mit Haut und Haaren, egal ob es sich um Einzelpersonen, um Strukturen, Gesellschaften oder Organisationen handelt.

Wer hat denn eigentlich gesagt, dass der Buchverkauf in Deutschland sich immer mehr auf die großen Ketten konzentrieren muss? Amazon verzichtet gleich ganz auf einen Filialbetrieb und verkauft nur übers Internet. Thalia, Weltbild und Hugendubel haben zwar Buchhandlungen, aber jeder von uns weiß, wie steril und langweilig die sind. Immer die gleichen Spiegel-Bestseller von Norderstedt bis Rosenheim plus ein bisschen Klimbim aus der Umgebung auf den Auslagetischen. Ich gehe nicht gerne in diese Schuppen. Persönliche Verkaufsgespräche finden nicht statt, denn die Ketten verstehen sich eigentlich nur als verlängerter Arm der Online-Bestellungen in einem riesigen virtuellen Buchwarenhaus. Ein paar beliebige Beispiele aus dem Sommer 2015 gefällig? Amazon empfiehlt Marc Raabes Heimweh, ein Ja im Sommer von Mary Kay Andrews und Emma Straubs Ein Sommer wie kein anderer. Scheiße, oder? Bei Thalia ist es nicht besser. Bretonischer Stolz von Jean-Luc Banalec, Vielleicht mag ich dich morgen von Mhairi McFarlane. Weltbild verkauft auch Strandausrüstung und Sommeraccessoires. Als Lektüre empfiehlt man Hape Kerkelings Der Junge muss an die frische Luft. Hugendubel ist der Platzhirsch in Bayern und hat als Tip des Monats Karen Roses Todesschuss. Ich kenne keinen keine(n) einzige(n) der bisher genannten Autorinnen und Autorinnen. Und ein paar Monate später kommt ein neues Bataillon von Bestsellern und ersetzt das alte. Widerlich eigentlich, doch die Ketten haben uns Leser immer mehr in der Hand und bestimmen unseren Geschmack. Es mag sein, dass die echten Zahlen (noch) anders liegen, aber gefühlsmäßig findet dort inzwischen mehr als die Hälfte des Umsatzes im Buchhandel statt. Tendenz steigend. Natürlich gibt es noch viele kleine Buchhandlungen, die ihre Arbeit mit Begeisterung machen, unbekannte, gute Autoren in den Regalen stehen haben und auf den persönlichen Geschmack ihrer Kunden eingehen. Aber ich glaube trotzdem, dass die kleine Buchhandlung längerfristig ein Auslaufmodell ist. Das hat auch mit den Rabatten zu tun, den Amazon und die großen Ketten bei den Verlagen bekommen. Bei 40 % Preisnachlass müssen die Verlage schon sehr genau rechnen, damit der Buchverkauf kein Minusgeschäft wird. Auch die Barsortimente beteiligen sich negativ an diesem Dumping-Wettlauf. Muss ich unbedingt als Leser mein Buch schon am nächsten Tag in der Hand haben? Gratis-Express über Nacht in die Buchhandlung! Die großen Gedanken just in time in Hintertupfingen! Bei den kleinen Verlagen erwürge ich so die Gewinnspanne. Auch der Autor schaut ins Ofenrohr. Würden die Buchhandlungen bei den Verlagen direkt bestellen, verlängerten sich die Auslieferungszeiten, aber für die Beteiligten bliebe ein bisschen mehr Geld im Topf.

Aber es ist ja nicht nur der Buchhandel, der in Deutschland im Argen liegt. Es fängt ja schon bei den Schriftstellern und Verlagen selbst an. Zwei Dinge kommen mir sofort in den Sinn (und ich bin mir nicht sicher, ob und wie sie miteinander zusammenhängen). Einmal ist es generell die desolate Situation der deutschen Literatur seit den siebziger Jahren. Nennenswertes ist seitdem nicht mehr passiert. Etwas, das die Entwicklung befördert hätte, ist seitdem nicht mehr geschrieben worden. Langeweile kriecht durch die Literaturlandschaft. Weil man nichts zu sagen hat, wird unglaublich laut und viel herumgelabert und herumgesülzt. Vor, bei und nach dem Schreiben. Deutschland hat den literarischen Klimawandel schon längst vollzogen und ist eine Schreibwüste geworden. Doch die Misere hört hier nicht auf.  Die großen Publikumsverlage haben sich alle als geschlossene Gesellschaften verschanzt mit völlig undurchschaubaren Regeln bei der Aufnahme, der Zusammenarbeit und des Ausschlusses ihrer Mitglieder. Sie erinnern an Schweizer Eliteinternate für die Reichen, Schönen und Klugen. Keiner weiß, warum jemand bei Suhrkamp oder Fischer schreibt. Schreibt der besser als die anderen? Verkauft der mehr Bücher? Kennt der eine Verlagslektorin oder vielleicht die Verlagseignerin? Und damit des Schlechten nicht genug. Fällt eigentlich nur mir auf, dass die Feuilletonsteile aller großer Tageszeitungen ausschließlich die Bücher der großen Publikumsverlage besprechen? Ist das Zufall, oder gibt es da Seilschaften, weil die Bücher, die in der Faz, der Zeit und in der Süddeutschen besprochen werden, sich auch besser verkaufen?  Und dann die Literaturpreise. Ich krieg einen mittleren Wutanfall, wenn ich mir Wikipedia-Einträge von bestimmten Schriftstellern (weiblich oder männlich) anschaue. Man klicke mal auf einige Links im Wiki-Eintrag Deutschsprachige Lyrik und beschränke sich auf die beiden Perioden Zeitraum ab ca. 1980 und Zeitraum ab ca. 2000. Warum müssen vierzigjährige Dichter ab dem 25. Lebensjahr regelmäßig hochdotierte Literaturpreise bekommen? Wer entscheidet das und aufgrund welcher Kriterien? Warum sahnen genau die alles ab und andere, die genauso gut oder vielleicht sogar besser schreiben, gehen leer aus? Bei der zeitgenössischen deutschen Literatur kommen einem die geballte Faust und das Heulen. Ist Durs Grünbein wirklich die Messlatte, unter der sich alle deutschen Lyriker messen müssen? Müssen wir das ganze selbstgerechte Gelaber und Gesülze einfach runterschlucken? Da sterben mir die grauen Zellen ab. Dichtung passiert doch im Augenblick. Sie braucht keine uferlosen Belehrungen und Betrachtungen.

Was ich besonders schlimm finde, ist eine gewisse Frauenliteratur. Funkt da das Y-Chromosom dazwischen, das Männer zu viel haben? Vielleicht. Doch mein Ärger ist real. Den krieg ich auch bei 60 Grad nicht weg. Als unsensiblen Sexisten lasse ich mich trotzdem nicht abkanzeln. Ich kann zum Beispiel auch die Schriften von Günther Grass, Martin Walser und Siegfried Lenz nicht verknusen. Die sind mir zu altväterlich und gutsherrlich. Und wenn ich länger darüber nachdenke, habe ich das eine oder andere Buch von Luise Rinser (Mitte des Lebens, Abenteuer der Tugend) Anfang der neunziger Jahre gerne gelesen. Für Ingeborg Bachmann hatte ich immer schon und habe ich auch heute noch viel übrig. Für die Gedichte Else Lasker-Schülers und Sapphos habe ich in meiner Gymnasialzeit geschwärmt. Was meine ich also mit einer „gewissen Frauenliteratur“? Sollte man sich seine literarischen Meinungen nicht vorurteilsfrei von Geschlechtskriterien bilden? Doch ich lüge mir nur in die eigene Tasche, wenn ich mich beschämt zum Hermaphroditen style und mich zittrig zur Zwittrigkeit bekenne. Falls mich jemand aufforderte, meine zehn Lieblingsschriftsteller zu benennen, wäre keine einzige Frau dabei. Es gibt also doch Unterschiede beim Schreiben und Lesen, die auch mit der Geschlechtszugehörigkeit zu tun haben. Aber welche? Da werde ich keine schnellen Antworten finden. Ich versuche es weniger abstrakt. Anfang der achtziger Jahre habe ich versucht Gabriele Wohmanns Paulinchen war allein zu Haus zu lesen und die Lektüre abgebrochen. Ähnlich ging es mir zur gleichen Zeit mit dem stinklangweiligen Buch Der geteilte Himmel von Christa Wolf. Vor ein paar Jahren habe ich Elfriede Jelineks In den Alpen und Herta Müllers Herztier nach ein paar Seiten entnervt zur Seite gelegt. Keine Spannung, kein Inhalt, schrecklicher Stil. Ann Cottens Gedichte sind zwar manchmal erfrischend und sprachlich überraschend (spielt da die Dreisprachigkeit der Autorin eine Rolle, die ständig zwischen Amerikanisch, Österreichisch und Hochdeutsch hin und her hüpft?), aber als literarisches Wunderkind ist sie heillos überbewertet. Das war auch die Ingolstädterin Marie Luise Fleißer, die nie mehr als eine Epigonin Bertolt Brechts war. Ulla Hahn, Bilderbürgerin per excellence, Feministin, wohlhabende Gemahlin des ehemaligen Bürgermeisters von Hamburg Klaus von Dohnanyi. Doktor der Philosophie. In Ein Mann im Haus rächt sich eine Frau an ihrem Liebhaber und fesselt ihn für eine Woche ans Bett. Muss ich mir solche sadistischen Fantasien aus der gutbürgerlichen Küche wirklich antun? Marlene Streeruwitz kommt äußerlich wie eine wiedergeborene Ingeborg Bachmann rüber und sucht eine genuin weibliche Sprache, die im Patriarchat nicht existieren kann. Im November 2006 wird sie bei der Inszenierung von Elfriede Jelineks Stück Ulrike Maria Stuart in einer Szene als sprechende Vagina dargestellt. Reizt mich das, eines ihrer Bücher zu kaufen? Judith Kuckart ist 1998 Stipendiatin der Villa Massimo und verarbeitet in Sätze mit Datum die Trauer über den Tod ihrer Mutter. Besonders originell erscheint mir das nicht. Nachprüfen geht eh nicht, weil der Text nur als Privatdruck erschienen ist. Jutta Heinrich veröffentlicht anscheinend seit vielen Jahren nichts mehr und veranstaltet trotzdem Schreibwerkstätten. Karin Rick hat gerade ihren erotischen Roman Venuswelle veröffentlicht. Doch sowas interessiert mich nicht. Karin Rick hat nichts mit der Lyrikerin Monika Rinck zu tun, für deren kurze Gedichtesammlung Honigprotokolle ich mich schon eher erwärmen könnte. Aber 20 Euro für 80 Seiten sind happig. Regina Nössler hat sich inzwischen auf Thriller spezialisiert, was mich außer vielleicht als originelle Persiflage oder wenn sie ein Jörg Fauser geschrieben hätte, wenig zum Lesen motiviert. Doris Dörrie wurde 1985 durch ihren Film Männer und Ich und Er bekannt und versucht sich seit dem Ende der achtziger Jahre auch als Schriftstellerin. Ich gehe davon aus, dass ihre Bücher wie ihre Filmkomödien im besten Fall gute Freizeitunterhaltung bieten. Sibylle Berg ist Bestsellerautorin. Ihr Erstlingswerk Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot klingt in mancher Besprechung recht vielversprechend. Vielleicht sollte ich mir den Roman in die Lektürewarteschleife stellen. Die schöne Alexa Hennig von Lange modelte für Benneton und schreibt meist Jugendromane oder Bücher für einfache Gemüter. Judith Hermann gilt als Tom Waits am Prenzlauer Berg, was mich aufhorchen lässt. Ich finde auch sympathisch, dass Hermann keine Vielschreiberin zu sein scheint. Zwei Bücher pro Jahrzehnt, das reicht ihr. Soll ich mir Sommerhaus, später bestellen?  Ist das was?  Muss man das lesen? War es nötig, dass so ein Buch geschrieben wurde? Entstünde eine Lücke in den Festungsmauern der deutschen Stadtbibliotheken, wenn es das Buch nicht gäbe?

Nach diesen Schmetterlingsflügen ins jungfräuliche Land der Mutmaßungen, des Hörensagens, der changierenden Stoffe und der Nouvelle Cuisine des Postfeminismus bin ich verwirrt. Nach dem Fräuleinwunder sei mir deshalb zur besseren Verdauung was Handfestes und Deftiges zum Lesen gestattet, zum Beispiel Edgar Allan Poes Die denkwürdigen Erlebnisse des Arthur Gordon Pym.

Copyright © 2016 Wolfgang Haberl

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