Heinrich Böll

Besprechung von Ralf Schnells Biografie „Heinrich Böll und die Deutschen“

Heinrich Böll war ja in meiner Jugendzeit noch einer der Star- und Bestsellerautoren. Jeder von ihm ab den 60ern veröffentlichte Roman war ein Ereignis und monatelang in aller Munde. Heute ist es vergleichsweise ruhig um ihn geworden. Manche sagen sogar, dass der Nobelpreisträger zu den vergessenen Autoren gehört. „Sic transit gloria mundi“ könnte man jetzt zynisch kommentieren, doch das Wegschwenken des Scheinwerferlichts auf Heinrich Böll hat auch ganz handfeste und spezifische Ursachen.

Einmal hängt das mit seinem doch eher biederen und konservativen Schreibstil zusammen. Gute deutsche sprachliche Hausmannskost. Nichts für den verwöhnten Gaumen. Die fehlende Brisanz und Originalität seiner Sprache motiviert nicht dazu, einen seiner vielen alten Bestsellerromane nach Jahrzehnten ein weiteres Mal zu lesen. Lieber ein Nickerchen mit dem Hund hinter dem Ofen.

Auch die ehemals brisanten Themen Bölls brennen heute nicht mehr unter den Nägeln und müssen mühsam mitsamt ihren Inhalten rekonstruiert werden. Ob es das Losledern gegen die neue Bonner Republik und Konrad Adenauer ist, die Bild-Zeitung mit ihrer diffamierenden Berichterstattung, die Institution Kirche oder die Zensur in der DDR, das Engagement für Willy Brandt zuerst und für die neu gegründete Partei der „Grünen“ am Ende seines Lebens – ohne den entsprechenden Kontext zu kennen, sind seine fiktiven Texte voll Zeitgeschichte, aber auch seine Essays und Artikel, heute nur noch mit viel Mühe lesbar. Das vielleicht eklatanteste Beispiel bleibt der Skandal um seinen Artikel „Will Ulrike Gnade oder freies Geleit?“ vom Januar 1971 sowie die fiktive Verarbeitung derselben Problematik in seinem Roman „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ (1974). Vor allem der längere, für den „Spiegel“ geschriebene Essay hat es in sich und Böll für alle Zeiten den Ruf eines Terroristensympathisanten eingebrockt. Der von Sarkasmus nur so triefende und deshalb mit Vorsicht zu genießende Artikel erinnert im Tonfall etwas an die legendären Flugblätter der Kommune 1. Man muss ihn mehrmals lesen, um sicher zu sein, dass man die subtilen Ironieebenen und Wortspielchen richtig einordnet. Schon allein der Ausdruck „Freies Geleit“ ist ohne Zusatzwissen unverständlich, stammt er doch aus der mittelalterlichen Rechtsprechung und bedeutet letztendlich das Recht auf einen fairen Prozess. Böll argumentiert gegen die Schwarz-Weiß-Lynchjustiz der Bild-Zeitung, die aus Ulrike Meinhof eine vogelfreie Satansbraut machen wollte, er plädiert für eine vorurteilsfreie Analyse der Beweggründe und am Ende eben für das angesprochene Anrecht auf Verteidigung in einem Gerichtsprozess. In der aufgeheizten politischen Atmosphäre der 70er war es für viele Deutsche einfacher, Böll einer Verharmlosung des Terrorismus und modischen Sympathiebekundung für die RAF anzuklagen.

Möglicherweise erinnert man sich deshalb heute an Heinrich Böll mehr wegen seines politischen Engagements als wegen seiner schriftstellerischen Potenz.

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