Wenn man von einer Stadt in eine andere umzieht, lebt man monatelang in einem Niemandsland, wo sich die Gedanken verwirren und die Gefühle unsicher sind. In so einer Umbruchsituation lese ich gerne Klassiker. Elie Wiesels autobiographischer Roman „Die Nacht“, 1958 veröffentlicht, ist so ein Klassiker. Er beschreibt die schreckliche Zeit des jugendlichen Wiesel im Konzentrationslager von Auschwitz und den Todesmarsch im Januar 1945 nach Buchenwald, wo sein an Ruhr erkrankter Vater von einem SS-Soldaten erschlagen wird, weil er zu laut vor Schmerzen schreit. Vorher hatte Elie Wiesel in Ausschwitz schon seine Mutter und seine Schwester verloren.
Für mich waren Autor und Buch neu, was vermutlich nur mit meiner eigenen Ignoranz zu erklären ist, denn der kürzlich verstorbene Wiesel war ein Bestsellerautor und ein in der amerikanischen Öffentlichkeit viel beachteter Wissenschaftler. Er hatte 1986 sogar den Friedensnobelpreis bekommen.
Ich kann mich noch daran erinnern, dass wir am Gymnasium (in den siebziger Jahren) Anna Franks Tagebuch gelesen haben. Von Elie Wiesel sprach damals niemals und auch ansonsten ist sein Buch möglicherweise nie in die breite deutsche Öffentlichkeit durchgedrungen.