Schmu

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Schmu

 Denke ich, von meiner beschränkten Sichtweise als Auslandsdeutscher aus, der fast alle seine Bücher online über Amazon einkaufen muss, weil das am schnellsten und günstigsten funktioniert, über den deutschen Buchhandel nach, komme ich an der Erwähnung der großen Buchhandelsketten nicht vorbei, selbst wenn ich lese, dass immer noch zwei Drittel der Buchverkäufe über den klassischen stationären Einzelbuchhändler laufen. Die Tendenz macht bekanntlich die Musik. Die Voraussagen zur schönen neuen Bücherwelt der Zukunft gehen nämlich davon aus, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis die Kombination aus online-Buchhandel einerseits und Verkauf durch die großen überregionalen Händler wie Thalia, Weltbild oder Hugendubel andererseits, den Löwenanteil der Buchverkäufe ausmacht.

Man sieht das beispielhaft und deutlich an der Situation von Ingolstadt. In meiner Jugendzeit gab es dort (schon seit Jahrzehnten) zwei Buchhandlungen: Schönhuber in der Theresienstraße und (fußläufig zu erreichen, aber etwas abgelegen) Ganghofer in der Donaustraße. Irgendwann Anfang der Nullerjahre dann versuchte die in Regensburg beheimatete bayrische Buchhandlungskette Bücher Pustet, sich als dritte Buchhandlung in der Ludwigstraße zu etablieren, wurde aber bald von der heute größten deutschen Buchhandlung Thalia abgelöst. Dahinter steckte ein erbitterter Kampf um Marktanteile, der das Buch immer mehr von einem Kulturgut zum Konsumgut degradierte. Kaufst du dir einen Handmixer, kauf ich mir den neuen Kehlmann. Die Thalia Holding geht zurück bis auf das Jahr 1931, als die Familie Könnecke , die auch heute noch ein Viertel der Aktien hält, das Unternehmen erwarb. Drei Viertel der Aktien sind allerdings inzwischen im Besitz der Douglas Holding mit Sitz in Hagen und alles wird vom amerikanischen Finanzinvestor Advent International kontrolliert. Dass eine solche Eigentümergemeinschaft an guter und kritischer Kultur interessiert ist, glaubt noch nicht einmal der Weihnachtsmann. Bei den anderen Buchhandlungsketten ist es allerdings auch nicht besser, womit ich wieder nach Ingolstadt zurückkomme. Thalia konnte sich nämlich auf der Schanz auch nur ein paar Jahre halten. Vermutlich ist der Bücherkonsum in einer Industriestadt mit etwas mehr als 100000 Einwohnern einfach nicht groß genug, um mehr als eine Buchhandlung am Leben zu lassen. Auch die kleine Weltbild-Filiale Am Stein musste im Laufe der Krise des Unternehmens schließen. Übrig blieb die Buchhandlung Heinrich Hugendubel, die allerdings nur die Ganghofer Buchhandlung in der Theresienstraße und im Westpark (sowie kurze Zeit auch im nahegelegenen Neuburg) übernahmen. Die Zahlen in der ehemaligen Ganghoferschen Hausbuchhandlung in der Donaustraße waren wahrscheinlich zu schlecht, um die Weiterführung des Betriebs zu rechtfertigen. Hugendubel hat seine Wurzeln in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Eichstätt, verlegte allerdings seine Tätigkeit schnell ins weltoffenere München, um die Zensur der erzkatholischen Bischofsstadt zu vermeiden.  Heute ist Hugendubel einer der drei großen überregionalen Filialisten mit Schwerpunkt in Süddeutschland. Wenn man eine dieser Filialen betritt (ganz gleich ob Thalia, Weltbild oder Hugendubel), wird man sich mit Schrecken dessen bewusst, wie Bücher heute verkauft werden müssen, um Gewinn zu garantieren. Für seelenvolle Poesiealben und Buchhändlernostalgien von Zeiten, als Bücher noch die Welt veränderten, ist anscheinend kein Platz mehr. Die Läden sind alle gleich ausgestattet, sie haben alle dieselben Bücher (aus der Spiegel-Bestsellerliste oder sonstigen Verkaufsstatistiken) auf den Verkaufsständen oder in den Wühltischen strategisch ausgelegt, lediglich ein (auch wieder überall genau gleich konzipierter) Verkaufsbereich für regionale Produkte ändert sich in den Filialen von Schleswig bis Garmisch-Partenkirchen. Aber Bücher sind eben keine bunten und süßen Haribo-Goldbären, sondern haben, wenn sie etwas taugen, eine kulturell-kritische Dimension, die in diesen Buchhandlungsketten allerdings nicht zu spüren ist. Dafür sind sie zu groß, zu steril, zu sehr am Massengeschmack orientiert. Allerdings sind die kleineren ungebundenen Buchhandlungen oft auch nicht viel besser. Wenn man sich viele derer Webseiten ansieht, bekommt man schnell den Eindruck, dass es einen Standardanbieter für diese Internetauftritte geben muss und dass oftmals versucht wird, die schlechte Geschäftspolitik der großen Ketten noch schlechter zu kopieren. Küsse, die einen aus dieser kulturellen Todesstarre erwecken, bekommt man vermutlich nur in den alternativen Buchhandlungen der großen Städte. So hat etwa der in Berlin ansässige Verbrecher-Verlag eine Liste seiner Depot-Buchhandlungen veröffentlicht. Das Wort „Depot-Buchhandlungen“ erinnert irgendwie auch an Munition und Anarchie und ich vermute, dass die dort aufgelisteten Läden in der Beratung, im Verkauf und im Verkauf etwas persönlicher, origineller und überraschender sind als die immer gleichen Ketten mit ihren Bestsellern. Einfach mal ausprobieren, wenn man nicht allzu weit weg wohnt. Auch die seit einigen Jahren existierenden Alternativen zum Bösewicht Amazon wie Fairbook oder Fairmondo sollte man in Erwägung ziehen, wenn man lieber online einkauft und das Privileg hat, in Deutschland zu wohnen.

Doch leider hört die Misere nicht bei den Buchhandlungen auf. Es gibt in Deutschland eine lange Tradition der sogenannten Barsortimente. Die Buchläden sind im Regelfall vertraglich an diese Buchgroßhändler (KNV, Libri, Umbreit) gebunden, die mit 50 oder mehr Prozent Rabatt die Bücher bei den Verlagen einkaufen und just-in-time auf Lager halten, so dass selbst der kleinste Buchhändler Deutschlands großmäulig damit prahlen kann, jedes bis 17 Uhr bestellte Buch schon am nächsten Tag Mittag liefern zu können.Vielleicht sollte man ernsthaft darüber nachdenken, ob diese Barsortimente in der jetzigen Marktsituation überhaupt noch einen Sinn haben.

Die Verlage selbst stehen auch schwer unter Druck. Die Buchhandlungen kaufen im Regelfall nicht direkt bei ihnen, sondern bei den gerade erwähnten Barsortimenten(Zwischenhändlern), um gerade bei neuen und unbekannten Autoren oder sperrigen Inhalten Ladenhüter zu vermeiden. Doch rechnet sich das alles? Wer verdient denn hier überhaupt noch etwas? Eine Milchmädchenrechnung ist schnell zusammengekritzelt. Ein Standardroman im Taschenbuchformat kostet im Regelfall nicht mehr als 10 Euro. Bekanntermaßen gibt es in Deutschland eine Buchpreisbindung, so dass der Buchhändler keine Möglichkeit hat, seine Gewinnspanne mit einem eigenen höheren Preis zu erweitern. Die Buchgroßhändler bekommen 50 Prozent Preisnachlass, Amazon bekommt meines Wissens sogar noch mehr. Das bedeutet, dass der Verlag für jedes verkaufte Buch mit 5 Euro oder weniger rechnen muss. Damit bestreitet er dann alle seine Kosten, die vielfältig sind: einmalige fixe Ausgaben für Lektorat und Satz, die Kosten für den Druck des Buchs, wenn es nicht nur ein E-Book sein soll, die Verlagslogistik, sprich Lagerhaltung, Rechnungs- und Mahnungswesen etc. Und wo bleibt das Honorar für den Autor, der ja monate- oder sogar jahrelang mit dem Schweiß auf der Stirn an seinem Manuskript gearbeitet hat. Man sieht schnell, wie knapp hier kalkuliert wird und wie leicht es ist, in die roten Zahlen zu rutschen. Einigermaßen rentabel wird alles sowieso nur, wenn die Auflage groß genug ist. Kleinverlage werden allerdings diese Auflagenhöhen nicht erreichen können, was sie dann oft dazu zwingt, Druckkostenzuschüsse vom Autor zu verlangen, die eigentlich jeder gesunden Arbeitsethik Hohn sprechen. Man arbeitet und muss auch noch für seine Arbeit bezahlen. Aber hallo! Meist sind die Kleinverlage schon zufrieden, wenn sie die erste Auflage (500 bis 1000 Stück) abverkauft haben, was zumindest ein Verlustgeschäft verhindert. Die wenigen großen Publikumsverlage haben jedenfalls den Markt fest in der Hand. In Zeiten, in den immer mehr geschrieben, aber immer weniger gelesen wird, sind sie die einzigen, die einem Autor eine längerfristige Zukunftsperspektive bieten können. Allerdings sind alle großen Publikumsverlage inzwischen für unbekannte Autoren uneinnehmbare Festungen geworden. Wahrscheinlich können sie auch nur auf diese Weise ihre dominierende Marktposition halten. Alle zum Teil gut dotierten Buchpreise werden nämlich an Autoren dieser Großverlage vergeben, was vermutlich oft auch die Existenz von so manchen Autorinnen und Autoren sichert, die mit ihren Büchern keine großen Absätze machen. Alle Rezensionen in den Feuilletons der wichtigen Zeitungen, alle wichtigen Buchbesprechungen im Fernsehen oder Radio sind auf diese wenigen großen Publikumsverlage zugeschnitten. Nur die Namen dieser im großen Stil besprochenen Autoren sind in aller Munde. Nur deren Bücher werden (zum Teil wenigstens) in Massen verkauft und gelesen. Um unsere oben skizzierte Milchmädchenrechnung weiterzukritzeln: Wenn ein kleiner Verlag mit Mühe 500 Exemplare des Romans seines unbekannten Autors verkauft hat, kann er sich glücklich schätzen. Dem Autor selbst stehen wahrscheinlich 10 % der oben erwähnten 5 Euro zu. Das sind 250 Euro, die möglicherweise der Kleinverlag noch nicht einmal auszahlt, weil er sich auf irgendwelche nicht vorhersehbaren Zusatzkosten beruft oder das Autorenhonorar auf die Kosten für ein weiteres Buch verrechnet. Anders sieht die Rechnung möglicherweise für einen Großverlag aus. Er kann grob abschätzen, wie hoch die Verkaufszahlen des veröffentlichten Buchs liegen werden und ist auch finanziell gesund genug, um Verträge abzuschließen, die schon ein Honorar für das Verfassen des Manuskripts vor dem Erscheinen des Buchs vorsehen. Wenn 50000 Exemplare verkauft werden, stehen dem Autor vielleicht € 25000 Euro zu (je nach Verlagsvertrag). In einem solchen Fall ist der Autor längst zum Marktfaktor geworden und hat höchstwahrscheinlich einen Agenten, der die besten Bedingungen für ihn aushandelt. Von solchen traumhaften Schreibvoraussetzungen können allerdings unbekannte Autoren nur träumen.

Copyright © 2016 Wolfgang Haberl

 

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