Dicke Bücher zu lesen, ist für mich (und wahrscheinlich auch für viele andere) ein Problem geworden. Die Zeit ist knapp, auf einmal kommen dringendere Lektüren und Termine dazwischen und man muss anderes lesen und tun. William Faulkners „Schall und Wahn“ (1929) erinnert in seiner Thematik ein wenig an Thomas Manns „Buddenbrooks“ (1901) und erzählt den Niedergang der Familie Compson aus den amerikanischen Südstaaten. Der Roman hat einen recht komplizierten Schreibstil (mit häufigem „stream of consciousness“ ) und erfordert eine intensive, am besten auch mehrmalige Lektüre seiner fünf Teile. „Schall und Wahn“ war wahrscheinlich auch deswegen kein literarischer Schnellerfolg, bewies jedoch die Qualität seines Autors, der ab den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts immer bekannter wurde und 1950 den Nobelpreis erhielt. Faulkner hat zudem, was die biographischen und literarischen Eckdaten anbelangt, auffällige Parallelen zu seinem „Alter Ego“ Ernest Hemingway, der allerdings ein mondänes und extrovertiertes Leben im Blitzlichtgewitter der Scheinwerfer und einen einfacheren, vom Journalismus geprägten Schreibstil bevorzugte. Faulkner war da kompromissloser und antwortete frustrierten Lesern seines Romans, die nach dreimaliger Lektüre immer noch Orientierungsschwierigkeiten beklagten, lakonisch mit dem Rat, ihn dann eben ein viertes Mal zu lesen.
Der erste Teil des Romans (dem wohl aufgrund von Leserklagen später eine dreißigseitige Genealogie der Familie Compson vorangestellt wurde) spielt am 7. April 1928, erzählt einen einzigen Tag aus der Sichtweise des psychopathischen Benjy Compson und springt oftmals unvermittelt und schwierig nachzuvollziehen zwischen drei Zeitebenen im Zeitraum 1898 bis 1928 hin und her. Zahlreiche innere Monologe eines geisteskranken Erzählers erschüttern die Glaubwürdigkeit und erschweren das Verständnis. Auch die kursiv gehaltenen Stellen, die oftmals auf chronologische Brüche hinweisen, sind kein hundertprozentig zuverlässig ausschlagender Kompass bei der Lektüre.
Der zweite Teil springt achtzehn Jahre zum 2. Juni 1910 zurück und berichtet von Benjys älterem Bruder Quentin, der 1909 ein Studium in Harvard beginnt, es allerdings schon wenig später abbricht, als seine Schwester Caddy ein uneheliches Kind bekommt, was sein moralisches erzkonservatives Weltbild kollabieren und ihn in eine schwere Depression abdriften lässt. Für ihn hat der amerikanische Bürgerkrieg das Ende der großartigen südstaatlichen Mentalität eingeleitet: Quentin begeht am Ende des zweiten Teils Selbstmord durch Ertrinken.
Der dritte Teil spielt einen Tag vor dem ersten Teil am 6. April 1928, einem Karfreitag. Ich-Erzähler ist jetzt der jüngste Bruder Jason. Der frustrierte rassistische einfach gestrickte Jason hat seinen Bruder Benjy zuerst kastrieren lassen und wird ihn nach dem Tod der Mutter in eine Nervenklinik einweisen lassen, besitzt ein Geschäft für Landwirtschaftsutensilien, investiert erfolglos in Aktien und pflegt Kontakte mit einer Prostituierten aus Memphis. Getrieben von zynischen und materialistischen Wertvorstellungen erzählt Jason viel linearer als seine beiden Brüder zuvor. Er verlässt seine Wohnung auf der Suche nach seiner Nichte Miss Quentin, Caddys Tochter, die mit den Familienersparnissen und einem Zirkusarbeiter durchgebrannt ist. Diese Ersparnisse stehen ihr zumindest in Teilen auch rechtmäßig zu, weil ihr Onkel Jason die Unterhaltszahlungen der Mutter jahrelang unterschlagen hat.
Der vierte Teil spielt am 8. April (Ostersonntag), verlässt die Perspektive der Ich-Erzählung und führt die Geschichte des dritten Teils aus einem auktorialen Standpunkt aus fort. Der Roman endet in kompletter Trostlosigkeit. Der betrogene Betrüger Jason findet trotz intensiver Suche weder Miss Quentin noch sein gestohlenes Geld. Zurück im Haus bleiben er, seine hypochondrische Mutter Caroline, sein behinderter Bruder Benjy und die gute Seele des Hauses, die schwarze Köchin und Haushälterin Dilsey Gibson, Zeugin des Niedergangs der Familie Compson. Sie symbolisiert die Werte, auf denen die ehemalige Größe der Compson-Familie gründete und deutet, wenn man es so verstehen will, die Hoffnung auf eine Neubelebung dieser Werte an (Ostersonntag!).