Jörg Fauser: Rohstoff

joerg_fauser_todestag_jung_body_n.2159984Ich hätte eigentlich Jörg Fauser Anfang der 80-iger Jahre lesen sollen, als er für das Westberliner Stadtmagazin TIP schrieb und nach der Veröffentlichung seines Romans Der Schneemann seine erfolgreichste Zeit als Schriftsteller hatte, bevor er 1987 viel zu früh starb. Wieder einer. Das Romantiker-Syndrom. Love hard , live fast, die young. Damals rauschte jedenfalls, wer weiß aus welchen Gründen, Fauser an meinem studentischem Wirrkopf vorbei. Ich las einige der amerikanischen Autoren, von denen er schamlos abkupferte (Hemingway, Kerouac, Burroughs, Bukowski), aber Fauser selbst ignorierte ich.

Der Roman Rohstoff, den viele für seinen besten überhaupt halten, wurde 1982 veröffentlicht. Er erzählt die Geschichte von Fausers Alter Ego Harry Gelb und nimmt die Handlungsstränge von Fausers allerersten, Anfang der siebziger veröffentlichten Romanen wieder auf. Viele der in Rohstoff auftauchenden Orte (Istanbul, Berlin, Göttingen, Frankfurt), die im Roman erwähnten Personen (durch fiktive Namen ersetzt) und auch die aufeinander ab folgenden Situationen selbst, die einen nicht genau definierten Zeitraum von Ende der sechziger Jahre bis Mitte der siebziger Jahre abdecken, dürften mehr oder weniger entfremdet Fausers eigene Biographie nacherzählen. Life is art. Nichts erfinden, sondern am eigenen Leib Erlebtes beschreiben.

Harry Gelbs Leben ist eine Abfolge von endlosen Frustrationen. Er veröffentlicht seine ersten Bücher, kann aber davon nicht leben. Deshalb muss er sich notgedrungen auf Gelegenheitsjobs (Angestellter bei der Bundesbank, Nachtwächter, Flughafenarbeiter bei der Gepäckabfertigung, Chefredakteur bei der Zeitschrift Zero etc.) einlassen, die er genauso häufig wechselt wie seine Frauen und Wohnsitze. Drogenerfahrungen, zuerst mit Opium, dann mit banalem Alkohol kennzeichnen Harry Gelbs Künstlerexistenz, die nur nach vielen Rückschlägen zu einer eigenen Identität findet. Das Buch endet bezeichnenderweise mit dem Hinauswurf des stockbesoffenen Gelb aus einer Frankfurter Kneipe, wo das Honorar seiner ersten Lesung nicht ausreicht, um seine Zeche zu bezahlen.

Rohstoff ist aber nicht nur Fausers Autobiographie, sondern die Dokumentation einer ganzen Generation. Aus der Sicht eines Außenseiters und gnadenlosen Skeptikers beschreibt er den Kater und Katzenjammer der Nach-Achtundsechziger, die aus dem Revolutionsrausch erwacht sind und sich entsetzt die Augen reiben. Übriggeblieben von den abgestürzten kühnen Utopien der Weltveränderung ist der Steinbruch von Fausers tieftraurigen Lebensweisheiten, von denen der Roman übersät ist. Die wird man als Leser nicht immer wort- und gedankengenau übernehmen wollen , sie sind aber immer intelligent genug, um sich darüber Gedanken zu machen und bezeugen Fausers Tiefgang. Vor allem die Verachtung des deutschen Kulturbetriebs zieht sich wie ein roter Faden durch den ganzen Roman:. … was uns zu schaffen machte, war dieser deutsche Brei, diese klebrige Soße, die sie mit ihren Kulturprodukten servierten, und diese Soße schmeckte so schlecht, weil sie zubereitet war aus den Rückständen politischer Krankheiten, aus den überlebten Doktrinen des Jahrhunderts, und angereichert mit den politischen Modebegriffen der jeweiligen Saison. Davon wurde uns schlecht, das machte uns manchmal mutlos, der Anblick dieser Völlereien, das Geschleime und Gesabber an Tischen, die sich immer noch unter Schüsseln voller toter Theorien und Ästhetiken bogen, und dann die Kotzereien im Feuilleton und die Blutspuren bis in die Hochsicherheitstrakte.

Jörg Fauser-Rohstoff

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